Einführende Texte und Materialien zum Kurs " Ethik und Organspende"

 
Die folgenden Texte sollen einen schnellen Überblick über den Stand der ethischen Diskussionen zum Thema Organspende - Organtransplantation ermöglichen.
Weiterführende Texte ermöglichen eine Vertiefung.

 
 
Was ist eigentlich Ethik ?
Warum ist Organspende ein Thema der (christlichen) Ethik?
Mangel an Spenderorganen und das Gerechtigkeitsproblem
Das Problem der Organentnahme - Hirntod
Das Transplantationsgesetz / Organspendegesetz - Kontroversen

 
 

     Weiterführende Materialien
Ethische Positionen zur Organspende
Ethik und Organspende - weitere Texte
Die Hirntoddefinition - Wann ist ein Mensch tot ?
Texte und Materialien zum Hirntod
Widerspruchslösung bei der Organspende - Schweigen als Zustimmung 
 Deutschlandfunk (1. 9. 2019)
Übersicht über alle Projektmaterialien / Themen
Lebendspende



 Was ist eigentlich Ethik ?
  Eine Arbeitsdefinition
 
Ethik beschäftigt sich mit den Grundlagen menschlicher Lebensführung und will eine Theorie dazu liefern.
Ethik beschäftigt sich mit der Beschreibung, Begründung, Kritik und Bewertung von Normen und Werten.

"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“(Immanuel Kant).
Statt sich darauf zu verlassen, dass andere für uns denken und deren Ansichten zu übernehmen, suchen wir selbst nach der Wahrheit. 
 

          Ethik versucht Antworten auf die Fragen:
  • Was ist gut, was ist böse?
  • Was sollen, dürfen, müssen wir tun?
  • Was ist sittlich gerechtfertigt, was ist problematisch, was ist verboten?
  • Wie frei sind wir in unserer Entscheidung bzw. was beeinflusst sie?
  • In welcher Weise sind wir für unser Handeln verantwortlich ?
  • Was ist menschliche Würde, wodurch wird sie möglicherweise gewährleistet oder bedroht?

Christliche Ethik
versucht diese Fragen im Lichte christlichen Glaubens zu erörtern, auch in der Auseinandersetzung mit anderen (außerchristlichen) Ansätzen.
Grundsätzliche ethische Überlegungen (z. B. "Liebe deinen Nächsten"; "liebe deine Feinde") müssen auf konkrete Einzelfragen bezogen werden, wobei diese oft im Spannungsfeld gegensätzlicher Erwägungen stehen.
 

Ethik der  Interessen und Ethik der Würde (W. Huber)  | Ethik - Wikipedia



 
Warum ist Organspende ein Thema der (christlichen) Ethik?

Ist Organspende ein Akt christlicher Nächstenliebe und humaner Verantwortung?
 
Vielen schwerkranken Menschen kann heute durch eine Organtransplantation das Leben gerettet werden oder ihre Krankheit kann weitgehend geheilt oder gelindert und damit die Lebensqualität entscheidend verbessert werden. Organ- und Gewebeübertragungen gehören aufgrund der Entwicklung der Medizin in den letzten 30 Jahren zum Standard der medizinischen Versorgung.

Seit Jahren besteht bei uns jedoch ein großer Mangel an Spenderorganen.
Sollte es eine ethische Pflicht zur Organspende geben? Sollte nur derjenige ein Recht auf ein Spenderorgan haben, der auch selbst zur Organspende bereit ist? Sollte man Angehörige von Verstorbenen auffordern, das Einverständnis zur Organspende zu geben?

Im religiösen Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod und an eine leibliche Auferstehung mögen weithin unbewusst Vorstellungen von einer notwendigen Unversehrtheit des Leibes im Tod mitschwingen. Umgekehrt stellt sich natürlich die Frage, würde ich selbst auf Spenderorgane zurückgreifen bzw. ist es nicht ein Akt christlicher Nächstenliebe und humaner Verantwortung Organe für den Todesfall zur Verfügung zu stellen (und dies auch schon zu Lebzeiten zu dokumentieren)?
 


Was sagen die Kirchen zum Thema Organtransplantation?
 

Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche haben übereinstimmend eine Erklärung herausgegeben, in der sie die Organspende befürworten. Auch Angehörige, die für einen Verstorbenen diese Entscheidung treffen, handelten ethisch verantwortlich und keineswegs pietätlos. "Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten."

Stellungnahme der deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Ev. Kirche in Deutschland


Weitere Stellungnahmen

W. Huber  (ehem. Ratsvorsitzender der EKD)
 

Der Ausgangspunkt liegt in dem Respekt vor der Würde des Menschen und der damit verbundenen Pflicht zur Lebenserhaltung und Lebensförderung. Deshalb werden Organtransplantationen von den Kirchen grundsätzlich bejaht; soweit der Organentnahme aus freien Stücken zugestimmt wird, kann man in ihr einen Akt der Nächstenliebe über den Tod hinaus sehen. 

Doch mit dem Hinweis auf die in diesem Fall vorausgesetzte freie Zustimmung ist auch schon das Problem benannt. Organtransplantationen sind grundsätzlich ethisch zulässig; sie können und dürfen aber nicht für alle zur Pflicht gemacht werden. Vielmehr bedarf es klarer Richtlinien im Blick auf die Zulässigkeit und die Modalitäten der Transplantation.

Dem dient das Transplantationsgesetz von 1997, dessen Entstehung die Kirchen intensiv begleitet haben. Es verschafft einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung zur Organtransplantation rechtlichen Ausdruck. Es gießt die Zustimmung zu dieser Möglichkeit, leidenden oder gar in ihrem Leben bedrohten Menschen zu helfen, in die Form des Gesetzes. Volle Einhelligkeit in den ethischen Voraussetzungen für ein solches Gesetz konnte in der Diskussion freilich nicht erreicht werden. Umstritten blieben bis zuletzt vor allem die Frage der Todesdefinition und die Möglichkeit der Organentnahme auf der Grundlage einer Zustimmung Dritter. 

Unstrittig ist, dass im Hirntod nach dem gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis ein untrügliches Todeszeichen zu sehen ist. Umstritten dagegen ist, ob dieses untrügliche Todeszeichen mit dem Tod der menschlichen Person schlechthin gleichgesetzt werden kann. Denn wenn eine Organentnahme beabsichtigt ist, werden auch nach Eintreten des Hirntodes die Herzkreislauffunktionen aufrecht erhalten.

In welchem Sinn von einem Menschen gesagt werden kann, er sei tot, wenn Herz und Kreislauf noch aktiv sind, ist für viele Menschen eine offene Frage. Umgekehrt erklären viele Mediziner es für einen unerträglichen Zustand, wenn nicht die menschliche Person als tot erklärt werden kann, bevor eine Explantation vorgenommen wird; deshalb beharren sie auf der Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod der menschlichen Person. 
(Wolfgang Huber: Was ist vertretbar? Ethische Probleme der Organtransplantation, 2001)
 


Karl Lehmann (Ehem. Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz)
 
"Die Kirche bejaht die Organverpflanzung. 
Die Organspende kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein. Eine solche Einstellung kann jedoch nicht erzwungen werden. Wenn sie bei einem Menschen nicht gegeben ist, darf dies nicht im Sinne einer moralischen Herabsetzung beurteilt werden. In jedem Einzelfall muss für die Organverpflanzung eine sorgfältige Prüfung stattfinden."
(1996)


Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (1996)
 

Heil und Heilung gehören nach biblischen und außerbiblischen Überlieferungen zusammen (Markus-Evangelium 2, 1-12: Jesus bringt Heil, indem er Sünden vergibt und Krankheit heilt). Darum hat die Kirche in ihrer Geschichte nicht nur das Evangelium gepredigt, sondern auch die Heilkunst und das Krankenhauswesen gefördert und unterhält bis heute viele Krankenhäuser und Pflegeheime.

Entsprechend haben Kirche und Theologie die ärztlichen Bemühungen um das Wohl der Menschen immer mit besonderer Aufmerksamkeit begleitet. Dabei sind die schwierigsten Fragen diejenigen geblieben, wie wir Krankheit und unsere Sterblichkeit verstehen, und ob wir Menschen alles, was wir in bester Absicht tun können, auch tun dürfen, ohne die von Gott gegebene Würde des Menschen zu verletzen. Diese Fragen haben eine neue Brisanz erhalten, seit Abtreibung, aktive Sterbehilfe und auch die Organtransplantation in die öffentliche Debatte gekommen sind. Bei Abtreibung und aktiver Sterbehilfe geht es um menschliche Eingriffe ins Leben. Bei der Organtransplantation geht es darum, ob wir die technische Möglichkeit, Organe zu verpflanzen, als Heilverfahren akzeptieren und eventuell auch mit einer eigenen Organspende unterstützen wollen oder nicht.

Bei der Suche nach einer Antwort dürfen medizinische Fortschritte nicht für sich betrachtet werden und nicht allein die Argumente liefern. Weil nach christlichem Glauben Gott der Schöpfer ist, können und dürfen wir nicht selbstherrlich mit dem Leben umgehen. Und weil wir an die Auferstehung der Toten glauben, sind Sterben und Tod für uns nicht nur Ende, sondern zugleich Tor zu einem neuen Leben. Das bestimmt die Einstellung von Christen zur Organtransplantation mit....

Stellungnahme der deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Ev. Kirche in Deutschland
Ethische Positionen zur Organspende



Mangel an Spenderorganen und das Gerechtigkeitsproblem
 
An jedem Tag sterben nach DSO-Angaben drei Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein lebensrettendes Herz, eine Lunge, eine Leber oder eine Bauchspeicheldrüse erhalten. Die Wartezeit für eine Niere betrage inzwischen im Schnitt sechs Jahre. 
Damit stellt sich auch die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit.

Mangel an Spenderorganen

Das Verteilungsproblem und die Hoffnung auf Rettung
"Ein besonders schweres Problem ist mit der Frage verbunden, wer in der langen Liste der Wartenden zuerst versorgt wird, wenn ein benötigtes Organ verfügbar ist. Denn die Möglichkeiten sind sowohl von der Menge als auch von der Gewebeverträglichkeit her immer begrenzt. 

Es geht nicht nur darum, dass die Verteilung ohne Ansehen der Person geschehen muss. Schwerer wiegt, dass Ärzte oft gezwungen sind, mit der Entscheidung für die Lebensrettung des einen Menschen andere dem Tod auszuliefern...

Kranke Menschen, die vergeblich auf ein Organ warten, erleben dies als ein über sie verhängtes Schicksal. Und viele von denen, die sich für eine Transplantation entschieden haben, bringen kaum noch die Seelenkraft auf, die ihnen verbleibende Lebenszeit mit etwas anderem als Warten zu verbringen: Sie richten alle Hoffnung auf ein Ersatzorgan. Und immer ist die Möglichkeit gegeben, dass sich die Hoffnung zerschlägt."

Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (1996)
 
 

Gerechtigkeitsprobleme der Organzuteilung unter Mangelbedingungen

"Ein weiteres ethisches Problem in der heutigen Transplantationsmedizin stellt die gerechte Verteilung von postmortal gespendeten Organen dar. Gefordert wird eine gerechte Organallokation unter den Bedingungen des Mangels an Spendern. Zur Diskussion steht, wie mit Fällen, in denen zwei oder mehrere Patienten unter medizinischen Kriterien für ein und dasselbe Spenderorgan in Frage kommen, umzugehen ist. Die Organallokation orientiert sich hauptsächlich an den ethischen Grundprinzipien der Gerechtigkeit und des größtmöglichen (medizinischen) Nutzens. Diese beiden Prinzipien können jedoch miteinander in Konflikt geraten. So wäre der Nutzen einer Transplantation bei einer noch relativ gesunden Person am größten, doch damit würde das Organ jemandem vorenthalten, für den es die vielleicht letzte Chance ist. Die Gewichtung der beiden genannten Prinzipien lässt sich aus ethischer Sicht nicht definitiv festlegen, sondern muss in einem transparenten gesellschaftlichen Prozess ausgehandelt werden.

In Deutschland werden die so genannten vermittlungspflichtigen Organe (Herz, Lunge, Leber, Niere, Pankreas und Darm) durch die Vermittlungsstelle Eurotransplant gemäß der Richtlinien zur Organvermittlung verteilt.
Mit Blick auf die Schwierigkeit der gerechten Organallokation wird auch über Modelle diskutiert, die vorsehen, dass Spenderorgane nur den Personen zugeteilt werden, die sich selbst bereit erklären ihre Organe postmortal zu spenden. Kritiker dieses Modells warnen vor nicht gewollten Diskriminierungen, die in der praktischen Umsetzung auftreten könnten. Weitgehend Einigkeit herrscht in der Diskussion darüber, dass soziale Kriterien, wie beispielsweise die gesellschaftliche Stellung einer Person, bei der Verteilung von Organen keine Rolle spielen dürfen."

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften


Das Problem der Organentnahme
 

Stirbt ein Mensch, während er maschinell beatmet wird, funktionieren Herz, Kreislauf, Nieren und andere Organe noch. Deshalb können die Nieren, das Herz, die Lunge, die Leber und die Bauchspeicheldrüse übertragen werden. Deshalb ist die Übertragung von Organen auch nur unter diesen eingeschränkten Voraussetzungen möglich (v.a. Unfalltote). Herz und Nieren müssen "frisch" sein, wenn sie andern das Leben retten sollen. Nach internationaler Übereinkunft gilt seit 1968 der Hirntod  als individueller Tod eines Menschen.  Die Organe werden bei schlagendem Herzen entnommen.
Dabei sind die Gehirnfunktionen unwiderruflich ausgefallen - bei Opfern von Unfällen zumeist oder Hirntumorkranken. Als Organspender werden sie beatmet.

Den Hirntod als Ende des Menschen zu bezeichnen ist eine Konvention, die auch ihre Kritiker hat.

Hirntod - Kritik der Hirntodkonzeption

Besondere Probleme der Organentnahme
"...Für alle Organe, die vor dem Stillstand des Blutkreislaufs entnommen werden müssen, ergibt sich eine schwierige Forderung. Denn diese Organe müssen einerseits aus lebenden menschlichen Organismen stammen, um verpflanzbar zu sein. Andererseits aber will die Transplantations-Medizin nicht in den Verdacht geraten, dass sie Menschen tötet, um benötigte Organe zu erhalten. 
Nur Toten sollen Organe entnommen werden. In der Medizin wird u.a. deshalb seit 1968 ein Todeskriterium benutzt, das zu dieser Forderung passt: der "Hirntod". "Hirntote" gelten danach als Tote, weil ihr Gehirn keine messbaren Funktionen mehr zeigt. Sie haben aber dennoch einen - unter intensivmedizinischen Bedingungen künstlich aufrecht erhaltenen - Blutkreislauf. Am "Hirntod"-Kriterium scheiden sich die Geister."

Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (1996)
 



Das Transplantationsgesetz / Organspendegesetz
Kontroversen um das Transplantationsgesetz 1997

1997 wurde die rechtliche Grundlage für Organtransplantationen in Deutschland geschaffen.
(Transplantationsgesetz).
Die rechtliche Grundlage bildet nun die sogenannte "erweiterte Zustimmungslösung", d.h., dass Angehörige entscheiden, ob die Organe für eine Transplantation zur Verfügung stehen, wenn der Verstorbene selbst keine Erklärung (Organspendeausweis)  abgegeben hat.

Für ein bundeseinheitliches Transplantationsgesetz werden unterschiedliche Vorschläge diskutiert. Sie alle respektierten den zu Lebzeiten geäußerten Widerspruch gegen eine Organentnahme nach dem Tode.

Enge Zustimmungslösung: Die Organentnahme ist verboten, wenn der potentielle Spender zu Lebzeiten nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Eine fehlende Einwilligung kann später durch niemanden stellvertretend nachgereicht werden.

Informationslösung: Die Organentnahme ist nur zulässig, wenn der potentielle Spender zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt weder Zustimmung noch Widerspruch vor, werden die Angehörigen gebeten, innerhalb einer angemessenen Frist darüber zu entscheiden. Ist die Frist ohne Entscheidung der Angehörigen abgelaufen, werden Organe entnommen. 

Erweiterte Zustimmungslösung: Die Organentnahme ist grundsätzlich unzulässig, wenn der potentielle Spender zu Lebzeiten nicht einwilligte. Die Einwilligung kann aber nach seinem Tod ersatzweise von den Angehörigen gegeben werden. 

Entscheidungslösung: Sie stellt eine Abwandlung der erweiterten Zustimmungslösung dar. Hier sollen die Bürger regelmäßig mit neutralen und ergebnisoffenen Informationen versorgt werden, damit sie eine  Entscheidung für oder gegen die Organ- und Gewebespende treffen. 

Widerspruchslösung: Die Organentnahme ist grundsätzlich zulässig, wenn der potentielle Spender zu Lebzeiten nicht ausdrücklich schriftlich widersprochen hat. 

Reziprozitätslösung: Nur derjenige, der sich selber als potenzieller Spender registrieren lässt, erhält im Gegenzug im Krankheitsfall bevorzugt selber ein Organ. 

Widerspruch oder Zustimmung - Transplantationsgesetz


  
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