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Theodizee   -  Der Fels des Atheismus?
Die Erfahrung des Leidens hat immer wieder atheistische Tendenzen wachgerufen.

 
Das Erdbeben von Lissabon (1755) war für viele aufgeklärte Denker ein zentraler Anstoß auch die Frage nach Gott neu zu stellen. Die Güte Gottes war "einigermaßen verdächtig geworden" (Goethe, 1749-1832).
Die millionenfache Vernichtung menschlichen Lebens in Auschwitz hat Mitte des letzten Jahrhunderts den Gottesglauben erschüttert und auch heute macht tägliches Leid die Antwort auf die Frage, "wie kann Gott das zulassen" nicht einfach.

Aufgabenstellungen

  • Freiheit des Menschen vs. Allmacht und Güte Gottes?
  • Warum hat Gott, wenn er der Schöpfer ist, keine bessere Welt geschaffen? 
  • Leben wir trotzdem in der besten aller Welten?
  • Muss die Frage nach dem Leid offen bleiben?

  Zum Einstieg
Das Erdbeben von Lissabon  (Wikipedia) - Warum ließ  Gott das zu? (Hamburger Abendblatt)
Ist Gott allmächtig (Chrismon - Religion für Einsteiger)
Zusammenfassung des Theodizeeproblems und seiner Lösungsmöglichkeiten (Wikipedia)
Das Buch Hiob - eine Antwort auf die Frage nach dem Leid?
„Dieser Gott zwingt zur Gottlosigkeit“ - Hiob - EKD
 

Corona-Pandemie und die Frage nach Gott (2020)
 

  Philosophische Positionen
N. Hoerster: Die Unlösbarkeit des Theodizeeproblems
Theodizeeproblem und seine Lösungsmöglichkeiten (Wikipedia)
Theodizee - Theologische und philosophische Aspekte
 

  Theologische Positionen
Element der Hoffnung trotz des Leidens (Pannenberg)
Hans Küng: Sinnloses Leid nicht theoretisch verstehen, sondern vertrauend bestehen
Theodizee - Theologische und philosophische Aspekte
„Dieser Gott zwingt zur Gottlosigkeit“ - Hiob - EKD
 
 

  Unterrichtsmaterialien
Umfangreiche Unterrichtsmaterialien zur Theodizeefrage (RPI-virtuell)
 

Zu Hiob (EKD - Gottes tolle Typen)

"Ende gut, alles gut? 
Für viele ist die Hiobsgeschichte eine Parabel von dem Gott, der Menschen eine Chance gibt, sich in Prüfungen zu bewähren. Ihr Ausgang kann nicht übertünchen, dass das Gottesbild des Buches Hiob ein Rückschritt hinter den Gott der Propheten Israels ist, zu dessen besonderen Merkmalen Recht und Gerechtigkeit gehörten und der eher aus dem Leid befreite, als dass er es verschuldete. "Dieser Gott zwingt zur Gottlosigkeit”, schreibt der Theologe Jörg Zink, "und wenn Hiob ihr nicht verfällt, so liegt es daran, dass er eine dichterische Figur, ein gedichtetes Urbild übermenschlichen Stehvermögens ist.”



Der Religionskritiker und Atheist J. Kahl

"...Der empirische Beweis zielt auf den unerlösten, elenden Zustand der Welt, das herzzerreißende, unschuldige Leiden und Sterben von Tier und Mensch, die mit dem Glauben an einen zugleich allgütigen, allwissenden, allwirksamen und allmächtigen Gott nicht vereinbar sind. Der Atheismus findet seine eigentliche Begründung in der Wirklichkeit selbst, in der blut- und tränengetränkten Geschichte des Tier- und Menschenreiches. Wie kann ein angeblich liebender Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, die Lebewesen, die er doch geschaffen hat, so unsäglich leiden lassen? Entweder er ist nicht allmächtig und kann die Leiden nicht verhindern, oder er ist nicht allgütig und will die Leiden nicht verhindern. 

Auf diese Zwickmühle innerhalb des Gottesglaubens hat erstmals der griechische Philosoph Epikur um 300 vor unserer Zeitrechnung in aller begrifflichen Klarheit aufmerksam gemacht.

An Epikurs Religionskritik anknüpfend hat viel später der deutsche Dichter Georg Büchner das Leiden eindrucksvoll als den "Fels des Atheismus" bezeichnet. In dem berühmten "Philosophengespräch" seines Dramas "Dantons Tod" heißt es: "Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt Ihr Gott demonstrieren ... Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz ... Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten." (J. Kahl)



 
 

Der amerikanische Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg formuliert es so:
(aus: "Bild der Wissenschaft" 12/1999)

"Es wäre ein überzeugenderer Hinweis auf einen gütigen Schöpfer, wenn das Leben besser wäre, als wir es erwarten können ... Mein Leben war bemerkenswert glücklich und liegt wahrscheinlich bei 99,99 in einer 100er-Skala menschlichen Glücks. Doch ich musste zuschauen, wie meine Mutter unter Schmerzen an Krebs starb, die Persönlichkeit meines Vaters durch die Alzheimer-Krankheit zerfiel und zahlreiche entferntere Verwandte im Holocaust ermordet wurden. Die Anzeichen eines gütigen Schöpfers sind ziemlich gut versteckt. Das Böse und das Leid haben schon immer jene beschäftigt, die an einen gütigen und allmächtigen Gott glauben. Manchmal wird Gott durch die Notwendigkeit des freien Willens der Menschen entschuldigt. Aber es erscheint für meine Verwandten etwas unfair, ermordet zu werden, damit Deutsche eine Gelegenheit für ihren freien Willen hatten.

Davon abgesehen: Wie erklärt der freie Wille den Krebs? Braucht ein Tumor ebenfalls einen Spielraum für seinen freien Willen? Ich halte es hier nicht für nötig zu begründen, warum das Böse in der Welt beweist, dass das Universum nicht geschaffen wurde, sondern nur, dass es keine Anzeichen von Güte gibt, die die Handschrift eines Schöpfers zeigen. Die Sichtweise, Gott könne nicht gütig sein, ist schon alt. Die antiken Tragödien machen klar, dass die Götter selbstsüchtig und brutal sind, obwohl sie ein besseres Verhalten von Menschen erwarten. Der Gott des Alten Testaments fordert, dass wir das Leben unserer Kinder auf sein Geheiß hin opfern, und der Gott des traditionellen Christentums verdammt uns in alle Ewigkeit, wenn wir Ihn nicht in der rechten Weise verehren. Ist dies eine nette Art, sich zu benehmen? Ich weiß ja, wir dürfen Gott nicht nach menschlichen Maßstäben messen. 

Aber welche anderen Maßstäbe können wir denn anlegen, wenn wir nicht bereits von Seiner Existenz überzeugt sind und nach Anzeichen Seiner Güte suchen? Religion hat manches Gute in der Welt bewirkt, aber insgesamt sind ihre Folgen furchtbar. Meine persönliche Ansicht ist: Mit oder ohne Religion werden sich gute Menschen gut verhalten und schlechte Menschen werden Böses tun. Doch der Beitrag der Religion in der Geschichte war, es guten Menschen zu erlauben, Böses zu tun. Eine der größten Errungenschaften der Wissenschaft ist nicht, es intelligenten Leuten unmöglich zu machen, religiös zu sein, sondern es ihnen zumindest zu ermöglichen, nicht religiös zu sein. Dahinter sollten wir nicht zurückfallen."


Corona-Pandemie und die Frage nach Gott
 

"Frankfurter Rundschau" (26.4. 2020)
Philosoph Richard David Precht: Corona als Lissabon des 21. Jahrhunderts? 

Als 1755 ein großes Erdbeben die Stadt Lissabon erschütterte, kamen auch ganze Weltbilder ins Wanken. Ist Wuhan, das Epizentrum der Corona-Pandemie, aus Sicht des Philosophen das Lissabon des 21. Jahrhunderts?

"Ein reizvolles Gedankenspiel! Mit dem Erdbeben von Lissabon stürzte tatsächlich die philosophische und theologische Vorstellung von einem guten Gott ein, der die beste aller Welten geschaffen hat. 
Denn in der besten aller Welten macht es nun mal überhaupt keinen Sinn, dass Naturkatastrophen über die Menschen kommen und so viele Leben kosten. 

Wenn ich einen Vergleichspunkt zur Gegenwart suchen wollte, dann könnte er darin liegen, dass das Coronavirus uns neu zur Besinnung auf unser Menschsein führt. Wir haben doch im Alltag weithin vergessen, dass wir biologische Lebewesen sind. Bei jungen Leuten habe ich immer den Eindruck, dass sie glauben, eher mit ihren Smartphones verwandt zu sein als mit Tieren und Pflanzen. Jetzt merken wir: Wir sind als Teil der Spezies Mensch ganz sensible, fragile, in hohem Maße von unserer biologischen Umwelt abhängige Wesen. Es hätte wirklich etwas Gutes, wenn wir uns wieder stärker als Teil der Natur wahrnähmen, die wir sonst einfach nur hemmungslos ausbeuten. Aber ich kann das aus heutiger Sicht nur im Wunsch-Konjunktiv formulieren."


Mit Corona stellt Gott den Menschen Fragen
Kirchenpräsident (EKHN) Volker Jung 25.5. 2020

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat in einem Gastbeitrag in vielen Zeitungen des Kirchengebiets - darunter die Allgemeinen Zeitung Mainz oder der Wiesbadener Kurier - versucht, die Coronakrise theologisch zu deuten. Aber was kann sie mehr sein als eine Strafe Gottes, wie viele noch heute meinen?

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat allen Versuchen eine Absage erteilt, die Corona-Pandemie mit Hilfe von Verschwörungstheorien zu erklären oder sie als „Strafe Gottes“ zu deuten. In einem Gastbeitrag für die VRM-Mediengruppe (Mainz) schrieb er am Montag, dass wichtig sei, „nicht zu phantasieren, sondern wissenschaftlich Ursachenforschung zu betreiben und auch zu klären, wo es menschliche Fehler und menschliches Verschulden gab“. Zudem fragten viele Menschen zu Recht danach, wie die Coronakrise religiös zu deuten sei. Dabei sprach er sich deutlich gegen die traditionelle Einordnung von Seuchen als „Strafe Gottes“ aus. „Das kann und darf so heute nicht gesagt werden,“ so Jung in einem Text, der unter anderem in der Mainzer Allgemeinen Zeitung, im Wiesbadener Kurier und dem Darmstädter Echo auf Seite zwei erschien.

Gott will das Leben
Gott stelle in der Krise dagegen Fragen an die Menschheit, erklärte der leitende Geistliche der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) im Rang eines Bischofs. Die biblischen Überlieferungen zeigen nach Ansicht Jungs, dass Gott nicht Leiden und Tod will, sondern Leben. Menschen seien „hineingenommen in Gottes Schöpfung“. Sie besäßen darin den besonderen Auftrag, „an der Seite Gottes und mit seiner Kraft“ dem entgegenzustellen, was Leiden und Tod bringe.

Die Erde auf Dauer erhalten 
Dies habe in der Coronakrise zunächst bedeutet, sehr konkret zu fragen, wie eine schnelle Ausbreitung des Virus verhindert werden könne. Mit Blick in die Zukunft müsse nun gefragt werden, was verändert werden muss, „damit wir diese Erde und das Leben auf ihr nicht zerstören?“ Jung: „So ist auch diese Krise ein Ruf der Umkehr zum Leben. Die Krise deckt einmal mehr wie unter einem Brennglas auf: Es ist nicht gut, wenn Menschen sich in trügerischer Selbstsicherheit gebärden, als seien sie die ‚Masters of the Universe‘. Die Krise zeigt, wie wichtig es ist, auch nach unseren Grenzen zu fragen. Und vor allem danach, wie sich diese Welt zu einer guten Welt für alle Menschen machen lässt. Gott straft mit der Krise nicht. Aber auch mit dieser Krise stellt Gott die Frage, wie wir uns und unsere Aufgabe in dieser Welt verstehen. Und die Frage, ob wir Gottes Wege zum Leben sehen und Gottes Kraft wahrnehmen.“ 
 

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