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Kahl Joachim Kahl, (geb. 1941) Theologe und Philosoph.
Nach seiner theologischen Promotion widmete er sich besonders religions- und kirchenkritischen Arbeiten.
1968 veröffentlichte er sein Buch "Das Elend des Christentums", das zu einem Klassiker der kirchenkritischen Literatur in Deutschland geworden ist. 

J. Kahl

Das Elend des Christentums
oder: Plädoyer für eine Humanität ohne Gott

Zwar wäre es zur Zeit verfrüht und zu stark vereinfacht, wollte man formulieren: Das Christentum ist heute ein Leichnam, der nur noch dank der künstlichen Sauerstoffzufuhr seitens interessierter Politiker, Theologen und Kirchenfunktionäre den Anschein von Lebendigkeit zu erwecken vermag. Dennoch lässt sich der immer größer werdende Substanz- und Funktionsverlust des Christentums schwerlich übersehen. Je mehr die Glaubwürdigkeit und Motivationskraft der tröstlichen Mythologeme schwand, um so mehr gewann der kulturelle Apparat der Gesellschaft an Bedeutung. Die Frustrationen einer inhumanen Arbeitswelt werden heute vorwiegend nicht mehr mit Hilfe religiöser Illusionen ertragen, sondern unter dem betäubenden Schwall einer allgegenwärtigen Bewusstseins- und Vergnügungsindustrie.

Gleichwohl gelang es unter dem Kapitalismus bisher nur wenigen Individuen, sich völlig aus dem Bann der überkommenen religiösen Rituale und Mysterien zu befreien. Zwar beteiligen sich die meisten Menschen nicht mehr aktiv und regelmäßig am kirchlichen Betrieb, treten aber andererseits nicht aus der Kirche aus und erhoffen immer noch bewusst oder unbewusst etwas vom Christentum. Dieser Erwartungshorizont reicht vom Wunsch, gewisse Lebensdaten festlich gerahmt zu sehen - der Pfarrer als ehrwürdiger Zeremonienmeister -, bis zum Verlangen, das Abendland vor dem Kommunismus zu bewahren - die Kirche als Gralshüterin von Sitte und Ordnung. Diese frommen Flausen sind der subjektive Niederschlag einer Gesellschaftsordnung, die die Menschen zur Ohnmacht verdammt und sie nach allem greifen lässt, was irgendwie Halt verheißt.

Welch tröstliches Gefühl der Sicherheit verleiht es ichschwachen und beschädigten Individuen, einer weltumspannenden und jahrtausende alten Organisation anzugehören! Sozialpsychologisch geurteilt, handelt es sich um ein Entlastungsphänomen: um eine Ersparnis an neuer Überlegung und neuer Entscheidung. Begünstigt und gerechtfertigt wird dieses Verhalten durch die traditionelle Gedankenlosigkeit, Christentum und Humanität kurzerhand zu identifizieren, wie das gängige Lippenbekenntnis zum vermeintlich so hohen Ethos der Bergpredigt beweist.

Wie reagieren die bestallten Theologen auf den skizzierten Substanz- und Funktionsschwund der Religion im Leben der Massen seit etwa zweihundert Jahren? Sofern sie sich nicht trotzig auf die alten Dogmen versteifen und vorgeblich dem Zeitgeist abschwören (Konfessionalismus, Fundamentalismus, Antimodernismus), geben sie sich aufgeschlossen und weltoffen. Sie bedienen sich zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnisse und können sich geschickt zu heutigen Fragen äußern. Aber einmal vergeuden sie viel Zeit und Kraft auf den - meist unredlichen und stets autoritätshörigen - Versuch nachzuweisen, dass irgendeine heutige Gegebenheit oder Bewegung im Grunde ganz biblisch und gut christlich sei: etwa Fragen des Weltbildes, der Frauengleichberechtigung, der Sexualethik, der Autonomie der Vernunft. Zum andern sind ihre Arbeiten meist nur ein milder Aufguss der dienstbar gemachten Disziplinen und stets nur ein christlich präparierter dazu - wie sich exemplarisch an Paul Tillichs oder Jürgen Moltmanns soziologischen, psychologischen und philosophischen Analysen zeigen ließe.
Einer fortgeschrittenen kritisch-atheistischen Theorie hat keine noch so modern oder revolutionär sich gebärdende Theologie etwas Neues zu sagen. Im Gegenteil. Bestenfalls bestätigt sie nur die Einsicht Franz Overbeck, dass die Theologie als Parasit von einer Tafel speist, die andere gedeckt haben.

Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, Erstveröffentlichung 1968, erweiterte Neuausgabe 1993.
 


Religionskritik - Übersicht
 
 

Joachim Kahl

Die Antwort des Atheismus: - "Es gibt keinen Gott" -

Atheist wurde ich durch mein Theologiestudium. Bereits als Ungläubiger schloss ich es mit der Promotion zum Dr. theol. ab. Unmittelbar danach trat ich - Vernunft- und Gewissensgründen folgend - aus der evangelischen Kirche aus, der ich anfänglich als Pfarrer hatte dienen wollen. Der Atheismus, für den ich in diesem Diskussionsbeitrag schreibe, ist in seiner persönlichen Färbung das Ergebnis meiner etwa dreißigjährigen Reflexion. In seiner inhaltlichen Substanz speist er sich aus einer jahrtausendelangen Überlieferungsgeschichte der Religionskritik von den Anfängen der Philosophie bis heute.

Es ist eine unwissende Verkürzung, Religionskritik und Atheismus erst mit der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert beginnen zu lassen. Der kritische Denkimpuls, der - staunend und zweifelnd - zur Philosophie führte, relativierte die Opfer und Orakel der Priester, die Sprüche und Ansprüche der Propheten. Seither ist die geistige Kultur geprägt von einer Rivalität zwischen Wissen und Glauben, Vernunft und Offenbarung, Philosophie und Theologie, Weltweisheit und Gottesfurcht.

Abgrenzungen

Atheismus ist Gottesleugnung und klar zu unterscheiden von Gotteslästerung, Antitheismus, Neuheidentum und Agnostizismus: Gotteslästerung oder Blasphemie, fast so alt wie der Gottesglaube selbst, ist eine unreflektierte, emotionale Form der Religionskritik. Ein Gotteslästerer bleibt religiös fixiert. Statt Gott zu lieben, verflucht er ihn, weil er sich in seinen Hoffnungen enttäuscht sieht. Der Atheismus hingegen ist - jenseits von Gotteslob und Gotteslästerung - eine entwickeltere Stufe der Religionskritik.

Psychologisch und inhaltlich verwandt mit der eifernden Art der Gotteslästerung ist der Antitheismus, eine militante Art der Gottesbekämpfung. Während der Atheist lediglich Gott leugnet - ihn in seiner Existenz argumentativ bestreitet und als Phantom, als Phantasiegebilde entlarvt -, meint der Antitheist, "Gott" aktiv bekämpfen zu müssen. Antitheismus ist daher verbunden mit verbiestertem Religionshass, mit hämischer Pfaffenfresserei. Ein Hauptbeispiel für diesen Irrweg der Religionskritik ist die kleine Schrift "Die Gottespest" des deutsch-amerikanischen Anarchisten John Most vom Ende des 19. Jahrhunderts. Der hier vorgestellte Atheismus grenzt sich weiterhin ab gegen jede Form von Neuheidentum. Neuheidentum wärmt ältere Stufen der Religionsgeschichte künstlich wieder auf, die durch die Entwicklung zum Monotheismus geistig - kulturell überholt sind. Aktuelle Spielarten sind die buntscheckigen Mischgebilde aus keltischen, germanischen, indianischen, ostasiatischen Elementen, oft verbunden mit bizarren Bräuchen aus Hexen- und Satanskulten. Diese vagabundierenden Formen einer "alternativen Religiosität" - meist in städtischen Subkulturen - werden religionswissenschaftlich auch als Patchwork - Religiosität bezeichnet.

Eine letzte begriffliche Klärung sei durch die Abgrenzung des Atheismus gegen den Agnostizismus herbeigeführt. Ein Agnostiker lässt die Frage nach Gott in der Schwebe, erklärt sie theoretisch für nicht lösbar, für rational unentscheidbar. Zwar steht er in der Regel inhaltlich der Religion ablehnend gegenüber, aber er vermeidet es, sich auf eine atheistische Aussage eindeutig festzulegen. So ist der Agnostizismus - nicht zu verwechseln mit Skepsis, die der Wahrheitssuche verpflichtet ist - eine heute weit verbreitete Haltung weltanschaulicher Laxheit. Diese Ideologie der Denkfaulheit kleidet sich dem Atheismus gegenüber gerne in den abgeklärten Vorwurf, auch der überzeugte Atheist sei in Wirklichkeit einem Glauben verfallen, denn beweisbar sei weder, dass es einen Gott gibt, noch dass es ihn nicht gibt. Demgegenüber beansprucht der hier skizzierte Atheismus, eine sich argumentativ herleitende theoretische Überzeugung, eine rational philosophische Weltanschauung zu sein. Sie stützt sich auf allgemein nachvollziehbare, insofern zwingende Gründe, auf - wenn man so will - Beweise. Der Glaube hingegen beruft sich auf Eingebungen, Offenbarungen, Heilige Geister oder Heilige Schriften. Sie entziehen sich eingeräumtermaßen allgemeingültiger Nachvollziehbarkeit, weshalb als ein weiterer - ebenso wenig überprüfbarer - Faktor oft noch die göttliche Gnade hinzukommen muss.

Der Atheismus ist eine historisch reflektierte, nach-religiöse Bewusstseinsform, die gedanklich und emotional über den Monotheismus hinausführt, indem sie seine ursprüngliche Logik der Entgötterung, Entweihung, Entzauberung und Verweltlichung der Welt konsequent zu Ende führt und gegen ihn selbst kehrt. Das Suchen nach Sinn gehört zur Natur des Menschen, insofern er sich als instinktarmes Lebewesen eigenständig in der Welt zurechtfinden, geistig orientieren muss. Aber nicht jeder Sinnsucher ist ein Gottsucher, und die spirituellen Bedürfnisse der Menschen dürfen nicht kurzschlüssig mit religiösen gleichgesetzt werden. Zwar sind auf die Sinnfrage traditionellerweise religiöse Antworten üblich, aber es sind eben auch nicht - religiöse, weltlich-humanistische, atheistische Antworten möglich. Auch die spirituellen Bedürfnisse können eine religiöse und eine nicht - religiöse Befriedigung erfahren. Es ist unredlich, die gemüthaften Bedürfnisse, die Verstand und Gefühl umgreifen - das Verlangen nach Sinn, Halt Trost und Mut im Leben-, flugs religiös zu vereinnahmen. Es gilt schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass alle spirituellen Tätigkeiten und Vorgänge, wie Erleuchtung und Versenkung, Meditation und Kontemplation, ja selbst die Mystik, keine ausschließliche Domäne der Religion sind, sondern auch weltlich-philosophische Spielarten kennen, die durchaus in einem atheistischen Lebensentwurf ihren Stellenwert haben können.

Die zwei Säulen des Atheismus

Der hier entwickelte undogmatische Atheismus beansprucht, den Gottesglauben von innen heraus aufzulösen, ihn an seinen inneren Widersprüchen und Ungereimtheiten scheitern zu lassen. Damit wird die religionskritische Schlüsselaufgabe bewältigt, weil im Gottesbegriff alle weiteren Glaubensinhalte letztlich verankert sind.

Die beiden Säulen des Atheismus lauten:

1. Es gibt keinen Gott, der die Welt erschaffen hat. Die Welt ist keine Schöpfung, sondern unerschaffen unerschaffbar, unzerstörbar, kurz: ewig und unendlich. Sie entwickelt sich unaufhörlich gemäß den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Notwendiges und Zufälliges verschränken.

2. Es gibt keinen göttlichen Erlöser. Die Welt ist unerlöst und unerlösbar, voller Webfehler und struktureller Unstimmigkeiten, die aus der Bewusstlosigkeit ihrer Gesetzmäßigkeiten herrühren.

Für eine atheistische Weltweisheit und Lebenskunst ergibt sich aus diesen Einsichten die Schlussfolgerung: Der Mensch ist nicht das Ebenbild einer überweltlichen und übernatürlichen Gottheit, sondern ein vorbildloses Geschöpf der Natur, all ihren Gesetzen unterworfen. In einer Welt, die nicht für ihn gemacht wurde, muss er sich seinen Weg selbst Bahnen und lernen, allem verderblichen Allmachts- und Unsterblichkeitswahn zu entsagen. Atheismus ist der Abschied von jeglicher Heilslehre und Heilshoffnung, freilich auch von jeglicher Unheilslehre und Untergangsprophetie, mögen sie sich auf ein illusionäres Jenseits oder auf das Diesseits beziehen. Menschliches Leben heißt: sich für eine kurze Zeitspanne erträglich einrichten auf einem Staubkorn im Weltall - mit Würde und Anstand und Humor. Vielleicht gelingt es doch noch den Erdball bewohnbar zu gestalten!? Die gesellschaftlichen Verhältnisse lassen sich jedenfalls schrittweise verbessern. Universale Gerechtigkeit und die Versöhnung von Mensch und Natur bleiben allerdings unerreichbar. Himmel und Hölle, Paradies und Verdammnis sind religiöse Trugbilder, keine atheistischen Leitideen.

Die beiden Säulen des Atheismus haben den gleichen theoretischen Rang, sie charakterisieren zwei unterschiedliche Argumentationsfiguren, die eine metaphysische und eine empirische Widerlegung des Gottesglaubens liefern.

Der empirische Beweis zielt auf den unerlösten, elenden Zustand der Welt, das herzzerreißende, unschuldige Leiden und Sterben von Tier und Mensch, die mit dem Glauben an einen zugleich allgütigen, allwissenden, allwirksamen und allmächtigen Gott nicht vereinbar sind. Der Atheismus findet seine eigentliche Begründung in der Wirklichkeit selbst, in der blut- und tränengetränkten Geschichte des Tier- und Menschenreiches. Wie kann ein angeblich liebender Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, die Lebewesen, die er doch geschaffen hat, so unsäglich leiden lassen? Entweder er ist nicht allmächtig und kann die Leiden nicht verhindern, oder er ist nicht allgütig und will die Leiden nicht verhindern. Auf diese Zwickmühle innerhalb des Gottesglaubens hat erstmals der griechische Philosoph Epikur um 300 vor unserer Zeitrechnung in aller begrifflichen Klarheit aufmerksam gemacht. An Epikurs Religionskritik anknüpfend hat viel später der deutsche Dichter Georg Büchner das Leiden eindrucksvoll als den "Fels des Atheismus" bezeichnet. In dem berühmten "Philosophengespräch" seines Dramas "Dantons Tod" heißt es: "Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt Ihr Gott demonstrieren ... Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz ... Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten."

Aber auch angenommen, es gäbe dermaleinst tatsächlich einen seligen Zustand, wie ihn die Offenbarung des Johannes im Neuen Testament (21,4) verheißt, dass Gott abwischen wird alle Tränen und es keinen Tod und kein Leid und keinen Schmerz und kein Geschrei mehr geben wird: Wäre damit der schnöde Atheismus eines besseren belehrt und stünde Gott gerechtfertigt da? Nein, denn die Erlösung im Jenseits kommt immer zu spät, Sie kann nicht im geringsten ungeschehen machen, was zuvor geschehen ist. Die Unumkehrbarkeit der Zeit ist die unüberschreitbare Grenze jeder Allmachtsidee. Kein Erdbeben-, Kriegs-, Folter-, Mord-, Krebs-, oder Verkehrs-Opfer wird verhütet durch religiöse Erlösungsversprechen. In welchem annehmbaren Sinn sollte erfahrenes Leid je wieder gutgemacht werden können? Das liebenswerte Sehnsuchtsbild einer vollendeten Gerechtigkeit, einer universalen Versöhnung bleibt unerfüllbar, weil selbst bei einer jenseitigen Kompensation das zuvor Geschehene nie ungeschehen gemacht werden kann.

Hinzu kommt, dass im Neuen Testament (um im christlichen Bereich zu bleiben) der Erlösung ohnehin nur eine Minderheit der Menschen teilhaftig wird: "Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt", heißt es im Matthäus-Evangelium (22,14). Unmittelbar nach dem zitierten Wort aus der Offenbarung des Johannes wird den "Ungläubigen", "Abgöttischen" und "Hurern" die ewige Qual in "Feuer und Schwefel" angedroht (21,8).

Und: Wenn Gott überhaupt einen Zustand ohne Schmerz und Leid schaffen kann, warum dann erst so spät und nicht von Anfang an? Warum zuvor die eigenen Geschöpfe durch ein Meer von Blut und Tränen waten lassen? Die nüchterne Antwort kann nur lauten: Statt die Wirklichkeit zu verrätseln und sich in "Gottes unerforschliche Ratschlüsse" zu flüchten, ist redlich einzuräumen: Es gibt keinen Gott. Ohne Gottglauben ist die Wirklichkeit bitter, aber mit Gottglauben ist sie bitter und absurd.

Die zweite Säule des Atheismus bestreitet nicht Gott den Erlöser, sondern Gott den Schöpfer. Sie argumentiert nicht empirisch, sondern metaphysisch, das heißt: Sie überschreitet den Bereich des Erfahrbaren und greift in jenen Teil der Wirklichkeit hinüber, der sich allein dem abstrakten Gedanken erschließt. Die hier vorausgesetzte Metaphysik ist eine Metaphysik ohne Goldgrund, eine nicht - religiöse, philosophische Theorie des Weltganzen. Erklärter- und unvermeidlicherweise verlässt sie den Bereich des empirisch Gegebenen, ohne freilich den Boden der Rationalität zu verlassen. Sie entschwindet nicht in eine "höhere Welt", sondern denkt, was nicht sinnlich fassbar, aber denknotwendig ist: die Welt als Gesamtzusammenhang, als Verschränkung von Teil und Ganzem, von Relativem und Absolutem. Der Glaube, daß ein Gott die Welt erschaffen hat, lässt sich durch Überlegungen der folgenden Art von innen her entkräften.

Als erstes ist zu fragen: Was tat Gott vor der Erschaffung der Welt, wenn die Schöpfertätigkeit zu seinen ewigen und unveräußerlichen Wesensmerkmalen zählen soll? Lag seine Schöpferkraft vorher brach? Weshalb wurde sie auf einmal tätig? Offenbar hat sich Gott gewandelt, obwohl doch die Unwandelbarkeit zu seinen klassischen Attributen gehört. Wenn er sich aber gewandelt hat, ist er der Zeit unterworfen. Es gab also eine Phase, in der Gott noch nicht der Schöpfer war. Der Gedanke eines ewigen Schöpfers, der irgendwann eine zeitlich begrenzte Welt geschaffen haben soll, ist logisch nicht widerspruchsfrei zu denken. Das hat den Philosophen Johann Gottlieb Fichte zu der schroffen Bemerkung veranlasst, "die Annahme einer Schöpfung" sei "der absolute Grundirrtum aller falschen Metaphysik". Durch sie werde "das Denken in ein träumendes Phantasieren verwandelt" ("Die Anweisung zum seligen Leben", Sechste Vorlesung). Der zweite Kritikpunkt erwächst aus der Frage: Warum hat Gott überhaupt die Welt geschaffen, obwohl er doch ein in sich selbst vollkommenes Wesen sein soll, das in seiner Majestät keines anderen bedarf? Die biblische Antwort - Gott schuf sich die Welt als sein Gegenüber und den Menschen als sein Ebenbild - provoziert unvermeidlich den Einwand: Da Gott nichts Sinnloses tut, muss ihm vorher etwas gefehlt haben. Wenn er aber ein Gegenüber brauchte, weil er einen Mangel litt, war er nicht in sich vollkommen. Schöpfertum und Vollkommenheit schließen sich aus. Das ergibt sich auch aus dem religiös - liturgischen Dauerappell, die Geschöpfe sollten ihren Schöpfer lobpreisen, verherrlichen, anbeten, ihm danken und vor ihm auf die Knie fallen.

Diese Ermahnungen, die ihren Ursprung in patriarchalisch-despotischen Verhältnissen nicht verleugnen können - hier der absolute Herrscher, dort die demütigen Untertanen-, beweisen erneut: Der Schöpfergott verzichtet ungern auf das Halleluja seiner Geschöpfe. Ein Zeichen innerer und äußerer Unabhängigkeit, gar Vollkommenheit ist das kaum. Um sich als Schöpfer zu beweisen, bedarf Gott der Welt; die Welt bedarf Gottes nicht. Sie besteht aus sich selber, ungeworden und unvergänglich, freilich auch völlig gleichgültig gegenüber dem Wohl und Wehe ihrer Geschöpfe. Eine letzte Überlegung betrifft das Verhältnis von Geist und Materie. Der Schöpfungsglaube behauptet, ein reiner Geist habe etwas Nicht-Geistiges, Materielles hervorgebracht. Hier wird uns erneut ein Opfer des Verstandes, der Glaube an ein Wunder, zugemutet. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt: Geist ist ein reifes Entwicklungsprodukt langwierigster materieller Vorgänge unter günstigsten Bedingungen. Geist ist gebunden an hochkomplexe Gehirnstrukturen. Deren Beschädigung beschädigt auch den Geist, deren Absterben führt auch zum Absterben des Geistes.

Poesie des Atheismus

Der Vorgang der Entzauberung, der mit dem Atheismus in der Tat einhergeht, befreit die Welt von allem faulen Zauber, berührt aber nicht den ihr innewohnenden wirklichen Zauber. Der Dichter Gottfried Keller hat dies nach seiner Begegnung mit dem atheistischen Denker Ludwig Feuerbach in einem Brief so formuliert: "Wie trivial erscheint mir gegenwärtig die Meinung, dass mit dem Aufgeben der sogenannten religiösen Ideen alle Poesie und erhöhte Stimmung aus der Welt verschwinde! Im Gegenteil! Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver, der Tod ernster, bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewusstsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgendeinem Winkel der Welt nachzuholen..."

Aus: "Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e.V."


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Mythologeme
Bildung von mythischen Gestalten und Überlieferungen.

Fundamentalismus:
anerkennt ausschließlich das wörtliche Verständnis der Bibel als Fundament des Glaubens und richtet sich ausdrücklich gegen wissenschaftliche Methoden der Schriftauslegung.

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