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 Religionskritik der Aufklärung 

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an sie zu verändern."
 
Karl Marx (1818-83) entwickelt in seinem berühmten Text nicht nur die These von der Religion als Opium des Volkes. Für ihn ist die Religion Ausdruck des gesellschaftlichen Elends und zugleich auch Protest gegen dieses Elend. Marx bezieht sich in seinen Ausführungen auf den Philosophen Feuerbach, der Gott und die Religion als Werk des Menschen herausgestellt hatte. 

Aufgabenstellungen
Karl Marx

Religion als Opium des Volkes

Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.
Die profane Existenz des Irrtums ist kompromittiert, nachdem seine himmlische oratio pro aris et focis widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein  seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muss.

Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen, das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks: Die Forderung, die Illusionen über seinen  Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.

Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.
.....
Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch einen Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln.
 

(Aus Marx/Engels-Werke, Bd. 1, 378ff.)


oratio pro aris et focis: Rede für Altäre und Herdstellen
Point-d'honneür: der Ehrenstandpunk

Ergänzende Texte von K. Marx:

Sein und Bewusstsein   | Thesen über Feuerbach



Arbeitsfragen
 
 
  • Wo finden Sie Anklänge an Feuerbachs Religionskritik?
  • Marx geht über Feuerbachs Projektionsthese hinaus und vertritt die Meinung, dass sich in der Religion der verkehrte entfremdete Mensch spiegelt. Worin besteht nach Marx diese Verkehrtheit des Menschen?
  • Welche Rolle spielt dabei die Religion?
  • Was heißt in diesem Zusammenhang die "Religion ist das Opium des Volkes"?
  • Marx behauptet den illusionären Charakter der Religion. Worin besteht er? Versuchen Sie die sprachlichen Chiffren für diesen illusionären Charakter bei Marx aufzuschlüsseln: imaginäre Blumen, illusorische Sonne...
  • Was hat die Kritik der Religion mit der Kritik der Politik zu tun?



 
 

AB Marx 2

Die Kritik von Marx und Feuerbach hat der Schriftsteller W. Hasenclever als Rede Gottes gestaltet.

Was würden wohl Feuerbach und Marx zu dieser imaginären Rede sagen ?

"Ich habe es satt. Seit vielen tausend Jahren sitze ich auf diesem imaginären Thron, auf den mich ein allgemeines, menschliches Plebiszit erhoben hat. Man beschuldigt mich, das Weltall geschaffen zu haben und macht mich für seine Schwächen und Unvollkommenheiten verantwortlich. Der Fall liegt umgekehrt. Die Menschen haben mich erschaffen. Unfähig, sich selbst zu regieren und ohne Illusionen zu leben, haben sie in mir ein höchstes Wesen verkörpert, das ihren Bedürfnissen entspricht . . . Man hat die Notwendigkeit meiner Existenz so oft bewiesen, dass ich fast daran glaube. Ich mache gute Miene zum bösen Spiel. Ich regiere. Ich sitze hier oben, empfange, unterschreibe Akten, lasse mich interviewen und malen. Meine Person dient als Vorwand für die dümmsten Ansprüche der Menschen. Kriege werden in meinem Namen begonnen und Revolutionen gegen mich geführt. Sie machen aus mir, was sie wollen ... Die Throne wackeln. Ich habe keine Lust mehr, eine Rolle zu spielen, die zur komischen Figur geworden ist. Die Monarchie hat abgewirtschaftet. Meine Kollegen auf der Erde packen ihre Koffer. Und da ich schließlich nicht mehr bin als der letzte Repräsentant einer veralteten Staatsform, die sich auf mich als oberste Instanz beruft, will ich mit gutem Beispiel vorangehen. Ich will mich pensionieren lassen."

(W. Hasenclever: Ehen werden im Himmel geschlossen, Reinbek 1963, S.262f.)
 
 



 

Aufgabe:

Setzen Sie sich mit diesen Thesen auseinander!

  • Die Bibel erzählt von einem anderen Gott. Er widerspricht menschlichen Wunschvorstellungen. Er wird in Armut geboren, von den Menschen abgelehnt und muss schließlich am Kreuz sterben. Der Glaube an Gott wirkt bei vielen Menschen nicht als Opium, sondern beflügelt sie, sich für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse einzusetzen.
  • Der Mensch - des Menschen Gott? "Der Mensch ist des Menschen Gott" oder "Der Mensch ist dem Menschen das Höchste", behaupten die Religionskritiker. Ist ein solcher Anspruch, eine solche Verheißung möglich, nachdem wir wissen, zu welcher Unmenschlichkeit dieser Mensch fähig ist? 

  •  
  • Marx wird oft vorgeworfen, dass er mit seiner Religionskritik eigentlich nur Kirchenkritik betreibt. Können Sie dem zustimmen?
  • Lesen diesen Text aus der Zeitschrift "Chrismon" ("Religion als Droge ?", Sept. 2015)

     
weitere Kritikpunkte an Marx

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Positionen des 20. Jahrhunderts
Antworten christlicher Theologie


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