Marxistisch-Leninistisches
Wörterbuch der Philosophie
Religion [lat] - eigtl:
Verehrung, heiliges Versprechen, Kult.
Form des gesellschaftlichen
Bewusstseins mit Weltanschauungscharakter, deren Besonderheit in einer
verzerrten, verkehrten Widerspiegelung der Natur und Gesellschaft im Bewusstsein
der Menschen besteht, dergestalt, dass die Erscheinungen der Natur und
Gesellschaft auf übernatürliche Ursachen und Zwecke zurückgeführt
bzw. als übernatürliche Vorgänge und Mächte vorgestellt
werden, zu denen die Menschen in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis
stehen und denen gegenüber sie sich zu ihrem Wohle zum Vollzug bestimmter
Handlungen (wie Gebete, Opfer, Kult, Ritus usw.) verpflichtet fühlen.
Die Religion ist erkenntnismäßig
verursacht durch die gedankliche Überschreitung jener Erkenntnisschranken,
die die jeweiligen Produktions- und Lebensbedingungen dem objektiven Erfassen
der tatsächlichen Zusammenhänge der Natur und besonders der Gesellschaft
entgegensetzen, und zwar durch die von Emotionen (Furcht-, Ohnmachts-,
Abhängigkeits-, Dankbarkeitsgefühle usw.) in Aktion gesetzte
Phantasie. Sie ist der Wissenschaft (wissenschaftlichen Erkenntnis) entgegengesetzt
und ihrem weltanschaulichen Inhalte nach eng mit dem objektiven Idealismus
verknüpft.
In der Niedergedrücktheit
und Unwissenheit der Volksmassen in der Klassengesellschaft hat die Religion
ihren entscheidenden sozialen Ausgangspunkt. Von den herrschenden Klassen
wird sie in der Klassengesellschaft ideell wie institutionell der Festigung
ihrer Macht und der Lähmung der revolutionären Aktivität
der unterdrückten Volksmassen dienstbar gemacht. Die Ablösung
von Religionen durch andere in der Geschichte ist mit Fortschritten in
der materiellen und geistigen Kultur der Völker unlöslich verbunden,
mit Wandlungen in den Gesellschaftsordnungen, denen die religiöse
Vorstellungswelt angepasst wird. In bestimmten historischen Perioden waren
auch progressive soziale und politische Bewegungen Träger religiöser
Vorstellungen, wie ebenso der Befehdung religiöser Richtungen untereinander
vielfach soziale und politische Gegensätze zurunde lagen. Diese Tatsachen
ändern indes nichts am Wesen der Religion überhaupt.
Die Ursachen der Religion
werden erst mit der Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen,
mit der Errichtung der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft und der
Überwindung der Reste der Klassengesellschaft endgültig beseitigt.
Mit der Entwicklung der kommunistischen Gesellschaftsordnung und der umfassenden
Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, des
dialektischen und historischen Materialismus, wird die Religion aus dem
Leben der Gesellschaft schwinden...
Seinem Erkenntnisprinzip
nach steht der religiöse Glaube somit in einem unüberbrückbaren
Gegensatz zum Wissen, zur Wissenschaft, denn er ersetzt eine objektiv-wissenschaftliche
Analyse der Stellung des Menschen inmitten seiner Beziehungen zur Natur
und seiner sozialen Existenzweise und eine wissenschaftlich begründete
Aussage über die tatsächlichen Möglichkeiten, Interessen,
Bedürfnisse, Schöpferkräfte und notwendigen Aktionen des
Menschen durch die Anerkennung eines Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildes,
das auf Verabsolutierung und Fetischisierung elementar wirkender, undurchschauter
Kräfte im gesellschaftlichen Lebensprozess sowie menschlicher Eigenschaften
beruht, die im religiösen Bewusstsein die Form überweltlicher
Mächte annehmen und die wirkliche Welt des Menschen zu sich in Abhängigkeit
zu setzen scheinen. Insofern der religiöse Glaube, seine Annahme,
zugleich als Voraussetzung jeder Teilhaberschaft am religiös verkündeten
«Heil», als Medium der «Heils»-Aneignung, begriffen
wird, ist er zugleich eine Verhaltensweise, die uneingeschränktes
Vertrauen in die Erfüllung dieser religiösen Erwartung setzt
und jegliche Handlung (die «Werke») unter dem Gesichtspunkt
des zu erwartenden «Heils» betrachtet, d.h., sie mit einer
Sinngebung bedenkt, die der menschlichen, sinnlich-konkreten, überprüfbaren
Praxis völlig entrückt ist. Hieraus leitet sich zwangsläufig
eine Wertung des gesellschaftlichen Verhaltens unter dem besonderen Gesichtspunkt
des Glaubens ab, die weniger das Verhalten, die Tat an sich, als vielmehr
einseitig das subjektive Motiv, die Gesinnung, aus der sie folgt, in den
Vordergrund der Betrachtung rückt. Der religiöse Glaube konstituiert
also zwangsläufig eine Grundhaltung, die Subjektivismus, Kritiklosigkeit
und Unterordnung unter einen fremden Willen fördert und damit vor
allem einer religiösen Manipulierung durch reaktionäre Gesellschaftsklassen
zu außerreligiösen egoistischen politischen Zwecken Ausgangspunkte
schafft.
Die Geschichte ist angefüllt
vom Kampf zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Wissenschaft,
vom Kampf gegen religiösen Gewissenszwang, der in den verschiedensten
Formen, mehr oder weniger konsequent, ausgefochten wurde. Dabei erwies
sich die materialistische Philosophie, ihrem Wesen gemäß, stets
als entschiedenster Verfechter der Glaubens- und Gewissensfreiheit und
der Autonomie von Vernunft und Wissenschaft. Heute nutzt der politische
Klerikalismus - wogegen sich auch immer mehr Anhänger religiöser
Bekenntnisse vor allem aus demokratischen Überzeugungen wenden - den
religiösen Glauben für die reaktionären politischen Zwecke
des Imperialismus aus. Er ordnet das Wissen dem Glauben unter und versucht
dadurch besonders der wachsenden gesellschaftlichen Bewusstheit der Volksmassen
entgegenzuwirken. Diese gesellschaftliche Bewusstheit der Volksmassen erhöht
sich in dem Maße, in dem sich ihre Emanzipation vom religiösen
Glauben durch Aufnahme des sozialistischen Bewusstseins vollzieht.
Das Recht auf Glaubens- und
Gewissensfreiheit, das in den kapitalistischen Staaten, vor allem wegen
der Verflechtung von Staat und Kirche, teils nicht verwirklicht oder nur
formal anerkannt ist, gehört zu den Grundrechten und Forderungen,
für die die Arbeiterklasse im Bündnis mit allen anderen demokratischen
Kräften in den kapitalistischen Ländern seit jeher kämpft.
Unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft, die den politischen
Missbrauch der Religion ausschließen, so auch in der Deutschen Demokratischen
Republik, ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit ein verfassungsmäßig
garantiertes Grundrecht, das die uneingeschränkte Freiheit aller Bürger
umfasst, sich nach eigener, freier Entscheidung zu einer nichtreligiösen
oder einer religiösen Weltanschauung zu bekennen. Erstmalig in der
deutschen Geschichte hat so die Arbeiterklasse das Recht und die Freiheit
errungen, ihre wissenschaftliche Weltanschauung, den Marxismus-Leninismus,
ungehindert zu propagieren.
W. I. Lenin
Opium für das Volk
Die Religion ist eine Form
des geistigen Jochs, das überall und allenthalben auf den durch ewige
Arbeit für andere, durch ein Leben in Elend und Verlassenheit niedergedrückten
Volksmassen lastet. Die Ohnmacht des Ausgebeuteten im Kampf gegen die Ausbeuter
läßt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben
im Jenseits aufkommen, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf gegen die Naturgewalten
den Götter-, Teufel-, Wunderglauben usw. aufkommen ließ. Wer
sein Leben lang schafft und darbt, den lehrt die Religion Demut und Geduld
im irdischen Leben und vertröstet ihn auf den himmlischen Lohn. Wer
aber von fremder Hände Arbeit lebt, den lehrt die Religion Wohltätigkeit
hienieden; sie bietet ihm eine wohlfeile Rechtfertigung für sein Ausbeuterdasein
und verkauft zu billigen Preisen Eintrittskarten zur himmlischen Seligkeit.
Die Religion ist das Opium für das Volk. Die Religion ist eine Art
geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz,
ihren Anspruch auf ein auch nur halbwegs menschenwürdiges Dasein ersäufen.
W. I. Lenin,
Sozialismus und Religion
(1905)
Die moderne Gesellschaft
ist ganz auf der Ausbeutung der ungeheuren Massen der Arbeiterklasse durch
eine verschwindend kleine, zu den Klassen der Grundeigentümer und
Kapitalisten gehörende Minderheit der Bevölkerung aufgebaut.
Das ist eine Sklavenhaltergesellschaft, denn die »freien« Arbeiter,
die ihr Leben lang für das Kapital arbeiten, »haben Anrecht«
nur auf solche Existenzmittel, die zum Lebensunterhalt der Profit erzeugenden
Sklaven und zur Sicherung und Verewigung der kapitalistischen Sklaverei
notwendig sind.
Die ökonomische Unterdrückung
der Arbeiter verursacht und erzeugt unvermeidlich alle möglichen Arten
der politischen Unterdrückung und sozialen Erniedrigung, der Verrohung
und Verkümmerung des geistigen und sittlichen Lebens der Massen. Die
Arbeiter können sich mehr oder weniger politische Freiheit für
den Kampf um ihre ökonomische Befreiung erringen, aber keinerlei Freiheit
wird sie von Elend, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung erlösen,
solange die Macht des Kapitals nicht gestürzt ist. Die Religion ist
eine von verschiedenen Arten geistigen Joches, das überall und allenthalben
auf den durch ewige Arbeit für andere, durch Not und Vereinsamung
niedergedrückten Volksmassen lastet. Die Ohnmacht der ausgebeuteten
Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter erzeugt ebenso unvermeidlich den Glauben
an ein besseres Leben im Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf
mit der Natur den Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. erzeugt.
Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet, lehrt die Religion
Demut und Langmut hienieden und vertröstet ihn mit der Hoffnung auf
himmlischen Lohn.
Diejenigen aber, die von
fremder Arbeit leben, lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden,
womit sie ihnen eine recht billige Rechtfertigung ihres ganzen Ausbeuterdaseins
anbietet und Eintrittskarten für die himmlische Seligkeit zu erschwinglichen
Preisen verkauft. Die Religion ist das Opium des Volkes. Die Religion ist
eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz
und ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen.
Doch der Sklave, der sich
seiner Sklaverei bewusst geworden ist und sich zum Kampf für seine
Befreiung erhoben hat, hört bereits zur Hälfte auf, ein Sklave
zu sein. Durch die Fabrik der Großindustrie erzogen und durch das
städtische Leben aufgeklärt, wirft der moderne klassenbewusste
Arbeiter die religiösen Vorurteile mit Verachtung von sich, überlässt
den Himmel den Pfaffen und bürgerlichen Frömmlern und erkämpft
sich ein besseres Leben hier auf Erden. Das moderne Proletariat bekennt
sich zum Sozialismus, der die Wissenschaft in den Dienst des Kampfes gegen
den religiösen Nebel stellt und die Arbeiter vom Glauben an ein jenseitiges
Leben dadurch befreit, dass er sie zum diesseitigen Kampf für ein
besseres irdisches Leben zusammenschließt.
Aus: W. J.
Lenin, Über die Religion. Berlin: Dietz-Verlag "1974.
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