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    Theoretische Positionen zur Religion im "real existierenden Sozialismus"
     
     
    Nicht Marx, sondern W. I. Lenin (1870-1924, russischer kommunistischer Revolutionär, Politiker und Gründer der Sowjetunion) hat den kämpferischen Atheismus mit dem Klassenkampf identifiziert und den Satz von Marx »Religion ist Opium des Volkes« zur Revolutionsparole ("Opium für das Volk") erhoben.  ...
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    Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie

    Religion [lat] - eigtl: Verehrung, heiliges Versprechen, Kult.
    Form des gesellschaftlichen Bewusstseins mit Weltanschauungscharakter, deren Besonderheit in einer verzerrten, verkehrten Widerspiegelung der Natur und Gesellschaft im Bewusstsein der Menschen besteht, dergestalt, dass die Erscheinungen der Natur und Gesellschaft auf übernatürliche Ursachen und Zwecke zurückgeführt bzw. als übernatürliche Vorgänge und Mächte vorgestellt werden, zu denen die Menschen in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis stehen und denen gegenüber sie sich zu ihrem Wohle zum Vollzug bestimmter Handlungen (wie Gebete, Opfer, Kult, Ritus usw.) verpflichtet fühlen.

    Die Religion ist erkenntnismäßig verursacht durch die gedankliche Überschreitung jener Erkenntnisschranken, die die jeweiligen Produktions- und Lebensbedingungen dem objektiven Erfassen der tatsächlichen Zusammenhänge der Natur und besonders der Gesellschaft entgegensetzen, und zwar durch die von Emotionen (Furcht-, Ohnmachts-, Abhängigkeits-, Dankbarkeitsgefühle usw.) in Aktion gesetzte Phantasie. Sie ist der Wissenschaft (wissenschaftlichen Erkenntnis) entgegengesetzt und ihrem weltanschaulichen Inhalte nach eng mit dem objektiven Idealismus verknüpft.

    In der Niedergedrücktheit und Unwissenheit der Volksmassen in der Klassengesellschaft hat die Religion ihren entscheidenden sozialen Ausgangspunkt. Von den herrschenden Klassen wird sie in der Klassengesellschaft ideell wie institutionell der Festigung ihrer Macht und der Lähmung der revolutionären Aktivität der unterdrückten Volksmassen dienstbar gemacht. Die Ablösung von Religionen durch andere in der Geschichte ist mit Fortschritten in der materiellen und geistigen Kultur der Völker unlöslich verbunden, mit Wandlungen in den Gesellschaftsordnungen, denen die religiöse Vorstellungswelt angepasst wird. In bestimmten historischen Perioden waren auch progressive soziale und politische Bewegungen Träger religiöser Vorstellungen, wie ebenso der Befehdung religiöser Richtungen untereinander vielfach soziale und politische Gegensätze zurunde lagen. Diese Tatsachen ändern indes nichts am Wesen der Religion überhaupt.
    Die Ursachen der Religion werden erst mit der Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, mit der Errichtung der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft und der Überwindung der Reste der Klassengesellschaft endgültig beseitigt. Mit der Entwicklung der kommunistischen Gesellschaftsordnung und der umfassenden Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, des dialektischen und historischen Materialismus, wird die Religion aus dem Leben der Gesellschaft schwinden...

    Seinem Erkenntnisprinzip nach steht der religiöse Glaube somit in einem unüberbrückbaren Gegensatz zum Wissen, zur Wissenschaft, denn er ersetzt eine objektiv-wissenschaftliche Analyse der Stellung des Menschen inmitten seiner Beziehungen zur Natur und seiner sozialen Existenzweise und eine wissenschaftlich begründete Aussage über die tatsächlichen Möglichkeiten, Interessen, Bedürfnisse, Schöpferkräfte und notwendigen Aktionen des Menschen durch die Anerkennung eines Welt-, Gesellschafts- und Menschenbildes, das auf Verabsolutierung und Fetischisierung elementar wirkender, undurchschauter Kräfte im gesellschaftlichen Lebensprozess sowie menschlicher Eigenschaften beruht, die im religiösen Bewusstsein die Form überweltlicher Mächte annehmen und die wirkliche Welt des Menschen zu sich in Abhängigkeit zu setzen scheinen. Insofern der religiöse Glaube, seine Annahme, zugleich als Voraussetzung jeder Teilhaberschaft am religiös verkündeten «Heil», als Medium der «Heils»-Aneignung, begriffen wird, ist er zugleich eine Verhaltensweise, die uneingeschränktes Vertrauen in die Erfüllung dieser religiösen Erwartung setzt und jegliche Handlung (die «Werke») unter dem Gesichtspunkt des zu erwartenden «Heils» betrachtet, d.h., sie mit einer Sinngebung bedenkt, die der menschlichen, sinnlich-konkreten, überprüfbaren Praxis völlig entrückt ist. Hieraus leitet sich zwangsläufig eine Wertung des gesellschaftlichen Verhaltens unter dem besonderen Gesichtspunkt des Glaubens ab, die weniger das Verhalten, die Tat an sich, als vielmehr einseitig das subjektive Motiv, die Gesinnung, aus der sie folgt, in den Vordergrund der Betrachtung rückt. Der religiöse Glaube konstituiert also zwangsläufig eine Grundhaltung, die Subjektivismus, Kritiklosigkeit und Unterordnung unter einen fremden Willen fördert und damit vor allem einer religiösen Manipulierung durch reaktionäre Gesellschaftsklassen zu außerreligiösen egoistischen politischen Zwecken Ausgangspunkte schafft.
     

    Die Geschichte ist angefüllt vom Kampf zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Wissenschaft, vom Kampf gegen religiösen Gewissenszwang, der in den verschiedensten Formen, mehr oder weniger konsequent, ausgefochten wurde. Dabei erwies sich die materialistische Philosophie, ihrem Wesen gemäß, stets als entschiedenster Verfechter der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der Autonomie von Vernunft und Wissenschaft. Heute nutzt der politische Klerikalismus - wogegen sich auch immer mehr Anhänger religiöser Bekenntnisse vor allem aus demokratischen Überzeugungen wenden - den religiösen Glauben für die reaktionären politischen Zwecke des Imperialismus aus. Er ordnet das Wissen dem Glauben unter und versucht dadurch besonders der wachsenden gesellschaftlichen Bewusstheit der Volksmassen entgegenzuwirken. Diese gesellschaftliche Bewusstheit der Volksmassen erhöht sich in dem Maße, in dem sich ihre Emanzipation vom religiösen Glauben durch Aufnahme des sozialistischen Bewusstseins vollzieht.

    Das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, das in den kapitalistischen Staaten, vor allem wegen der Verflechtung von Staat und Kirche, teils nicht verwirklicht oder nur formal anerkannt ist, gehört zu den Grundrechten und Forderungen, für die die Arbeiterklasse im Bündnis mit allen anderen demokratischen Kräften in den kapitalistischen Ländern seit jeher kämpft. Unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft, die den politischen Missbrauch der Religion ausschließen, so auch in der Deutschen Demokratischen Republik, ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht, das die uneingeschränkte Freiheit aller Bürger umfasst, sich nach eigener, freier Entscheidung zu einer nichtreligiösen oder einer religiösen Weltanschauung zu bekennen. Erstmalig in der deutschen Geschichte hat so die Arbeiterklasse das Recht und die Freiheit errungen, ihre wissenschaftliche Weltanschauung, den Marxismus-Leninismus, ungehindert zu propagieren.
     


    W. I. Lenin

    Opium für das Volk

    Die Religion ist eine Form des geistigen Jochs, das überall und allenthalben auf den durch ewige Arbeit für andere, durch ein Leben in Elend und Verlassenheit niedergedrückten Volksmassen lastet. Die Ohnmacht des Ausgebeuteten im Kampf gegen die Ausbeuter läßt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits aufkommen, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf gegen die Naturgewalten den Götter-, Teufel-, Wunderglauben usw. aufkommen ließ. Wer sein Leben lang schafft und darbt, den lehrt die Religion Demut und Geduld im irdischen Leben und vertröstet ihn auf den himmlischen Lohn. Wer aber von fremder Hände Arbeit lebt, den lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden; sie bietet ihm eine wohlfeile Rechtfertigung für sein Ausbeuterdasein und verkauft zu billigen Preisen Eintrittskarten zur himmlischen Seligkeit. Die Religion ist das Opium für das Volk. Die Religion ist eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz, ihren Anspruch auf ein auch nur halbwegs menschenwürdiges Dasein ersäufen.
     
     
     

    W. I. Lenin,
    Sozialismus und Religion
    (1905)

    Die moderne Gesellschaft ist ganz auf der Ausbeutung der ungeheuren Massen der Arbeiterklasse durch eine verschwindend kleine, zu den Klassen der Grundeigentümer und Kapitalisten gehörende Minderheit der Bevölkerung aufgebaut. Das ist eine Sklavenhaltergesellschaft, denn die »freien« Arbeiter, die ihr Leben lang für das Kapital arbeiten, »haben Anrecht« nur auf solche Existenzmittel, die zum Lebensunterhalt der Profit erzeugenden Sklaven und zur Sicherung und Verewigung der kapitalistischen Sklaverei notwendig sind.

    Die ökonomische Unterdrückung der Arbeiter verursacht und erzeugt unvermeidlich alle möglichen Arten der politischen Unterdrückung und sozialen Erniedrigung, der Verrohung und Verkümmerung des geistigen und sittlichen Lebens der Massen. Die Arbeiter können sich mehr oder weniger politische Freiheit für den Kampf um ihre ökonomische Befreiung erringen, aber keinerlei Freiheit wird sie von Elend, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung erlösen, solange die Macht des Kapitals nicht gestürzt ist. Die Religion ist eine von verschiedenen Arten geistigen Joches, das überall und allenthalben auf den durch ewige Arbeit für andere, durch Not und Vereinsamung niedergedrückten Volksmassen lastet. Die Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter erzeugt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf mit der Natur den Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. erzeugt. Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet, lehrt die Religion Demut und Langmut hienieden und vertröstet ihn mit der Hoffnung auf himmlischen Lohn.

    Diejenigen aber, die von fremder Arbeit leben, lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden, womit sie ihnen eine recht billige Rechtfertigung ihres ganzen Ausbeuterdaseins anbietet und Eintrittskarten für die himmlische Seligkeit zu erschwinglichen Preisen verkauft. Die Religion ist das Opium des Volkes. Die Religion ist eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz und ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen.

    Doch der Sklave, der sich seiner Sklaverei bewusst geworden ist und sich zum Kampf für seine Befreiung erhoben hat, hört bereits zur Hälfte auf, ein Sklave zu sein. Durch die Fabrik der Großindustrie erzogen und durch das städtische Leben aufgeklärt, wirft der moderne klassenbewusste Arbeiter die religiösen Vorurteile mit Verachtung von sich, überlässt den Himmel den Pfaffen und bürgerlichen Frömmlern und erkämpft sich ein besseres Leben hier auf Erden. Das moderne Proletariat bekennt sich zum Sozialismus, der die Wissenschaft in den Dienst des Kampfes gegen den religiösen Nebel stellt und die Arbeiter vom Glauben an ein jenseitiges Leben dadurch befreit, dass er sie zum diesseitigen Kampf für ein besseres irdisches Leben zusammenschließt.
     

    Aus: W. J. Lenin, Über die Religion. Berlin: Dietz-Verlag "1974.


     

       
     
    Übersicht: Religionskritik der Aufklärung
    Positionen des 20. Jahrhunderts
    Antworten christlicher Theologie

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