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Eugen Drewermann (geb.1940) ist ehemaliger katholischer Priester und arbeitet in Paderborn als Psychotherapeut.
Aufgrund seiner Kirchenkritik erhielt er 1991 Lehrverbot. 1992 wurde ihm das Predigen und die priesterliche Tätigkeit ebenfalls untersagt. Drewermann kann als Religionskritiker gesehen werden, der die Religion nicht abschaffen, sondern deren Heilsversprechen neu herausarbeiten will. 2005 trat Drewermann aus der katholischen Kirche aus.
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E. Drewermann

"Religion ist ein Ort von Hoffnung"

Mit der Zeitschrift Diesseits führte er im Jahr 2000 ein Interview, wo er sich zu Religion, Kirche und Zukunft der Religion äußerte. Hier ein kurzer Ausschnitt:
 

 "...Mit der katholischen Kirche, die in meinen Augen einen fundamentalistischen Dogmatismus verwaltet, habe ich geistig und arbeitsmäßig große Schwierigkeiten, denn sie unterdrückt jede Aktivität, die sie nicht kontrollieren kann.

Ich sehe zwischen Psychotherapeuten und religiös existierendem Menschsein keinen Gegensatz. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, das Christentum ist im Unterschied zum Judentum oder Islam, die Gesetzesreligionen sind, eine therapeutische Religion: Jesus hat, wie man beim Lesen im Neuen Testament sieht, nicht nebenbei, sondern ganz zentral, Menschen geheilt. Er schaffte es, von Gott so gütig zu sprechen, dass sich darunter die Angst im Menschen legte, die bis in die Seele, bis in den Körper hinein krankheitsverursachend wirken kann. Das müssten wir in unserem Jahrhundert dringend nachbilden, so dass eine Synthese dessen, was im 20. Jahrhundert Psychotherapie geheißen hat und dem was Religion werden könnte, mir überaus dringlich scheint.

Die Menschen haben an Kirche kein Interesse mehr, die mehr Neurosen produziert als heilt, und die statt Menschen zu befreien, ihnen einen äußeren Zwang auferlegt. Ein System der unfehlbaren Offenbarung und des absoluten Wissens. Man sollte nur auf die Amtsträger, die Bischöfe und den Papst hören, um zu wissen, was Gott gesagt hat. Das kann heute nicht mehr funktionieren. Aber eine Religion, die den Menschen mündig macht, die seine Person stärkt, die Freiheit ernst nimmt, die den Dialog unter den Menschen als einen kreativen Prozess der Erkenntnis versteht, hat Zukunft. Die möchte ich fördern in jeder Weise.

Diesseits: Warum dann aber Religion? So wie Sie Religion beschreiben, ist sie im Grunde Psychoanalyse, aber atheistisch-humanistisch. Wofür brauchen Sie und die Menschen die Vorstellung vom persönlichen Gott?

Eugen Drewermann: Der Atheismus - naturwissenschaftlich und auch im Werke Sigmund Freuds - ist mir überaus verständlich. Ich habe ein neues Buch heraus gebracht unter dem Titel "Und es geschah so" über das Verhältnis von Biologie und Theologie. Ich zeige darin, dass das Gottesbild der herkömmlichen christlichen Theologie Atheismus produzieren muss. Man hat die biblische Gottesvorstellung mit griechischer Naturphilosophie zusammengebracht und daraus ein metaphysisches Gottesbild abgleitet, nachdem Gott allweise, allgütig und allmächtig ist. Bei diesen Erwartungen kann die Enttäuschung nur dramatisch sein. Die Welt ist nicht gütig, alles andere als weise. Und unterliegt keinem durchgängigen Plan. Die Biologen können an jeder Stelle heute zeigen, dass das definitiv nicht der Fall ist. Nicht weil wir einiges nur noch nicht genau genug erkannt hätten, sondern weil wir es ziemlich genau kennen, wird das alte Erklärungsbild ad absurdum geführt. Zwischen dem Darwinismus, heute Pflicht im Biologieunterricht der Zwölfjährigen, und dem was sie in der Religionsstunde danach präsentiert bekommen, gibt es logisch einen diametralen Gegensatz. In den hinein greift der Atheismus völlig berechtigt.

Die DDR hat mit Leichtigkeit in ihrer Kulturpolitik diese Widersprüche ausnutzen können. Dasselbe Problem hatten wie in den westlichen Bundesländern aber ganz genauso. Über 500 verordnete Religionsstunden produzieren Atheismus. Je besser man die Religion begreift, desto weniger kann man verstehen, wie dies mit den Naturwissenschaften übereinstimmen soll und umgekehrt.

Was Sigmund Freud angeht, ist der Atheismus für ihn eine Erfahrungstatsache. Die Menschen kommen und reden von Gott. Je länger man mit ihnen spricht, je besser man sie begreift, wird deutlich, dass sie unter Gott die Ängste ihrer Kindertage verstanden haben, infantile Bindungen, verzweifelte Suche nach Liebe, die ständige Untertänigkeit unter Ersatzautoritäten. Das muss abgebaut werden und hat kein Recht mehr sich zu beglaubigen. Für mich hat Freud etwas geleistet so wie Elias, der die Götzen Kanaans bekämpft hat. Lauter vergegenständlichte Vorstellungen, die dann dem Menschen zum Zwangssystem werden. Mit einem Wort: Der Atheismus hat eine äußerst reinigende und wichtige Funktion. Er beantwortet aber nicht die Fragen, die wir Menschen wirklich haben. Wir Menschen wollen als Erstes gar nicht wissen, ob jene Hypothese in Physik oder Biologie zutrifft. Die Religion ist nicht nötig, um die Natur zu erklären, sie ist aber nötig, um die Welt und die Stellung des Menschen in ihr zu verstehen. Die Religion ist eine hermeneutische, keine naturwissenschaftliche Größe...

Diesseits: Ist für Sie die Bibel ein offenbartes Wort Gottes? Oder ist sie eine kulturhistorische Leistung der Menschen auf ihrem Weg zum Menschsein, in der viele Ängste und Probleme von Menschen aufgegriffen werden?

Eugen Drewermann: Das beides ist dasselbe. Ich glaube nicht, dass Offenbarung sich verstehen lässt in der Art, dass da von außen irgend jemand durch ein unsichtbares Mikrofon geraunt hätte. Nein, Offenbarung besteht darin, dass Menschen die Rollos hochziehen und die Sonne hineinlassen. Das sind Menschen, die sich durch die Angst nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern die Angst widerlegen, sich nicht verheddern in den immer gleichen Reaktions- und Fluchtschemata, sondern kreativ darüber hinausblicken. Das tut Buddha. Er widerlegt das Leid durch seine Stille. Das tut Jesus. Er widerlegt den Hass durch seine Liebe. Das sind Schritte zum Menschsein und Offenbarungen. Die Bibel ist kein historisches Informationsbuch. Das wusste schon Spinoza. Das ist wirklich nicht neu. Man kann Gott nicht vergegenständlichen, ohne Aberglauben zu züchten. Die Weihnachtserzählung ist nicht historisch. Sehr wichtig wäre es zu zeigen, dass es wunderbare Symbole sind, in der Nacht das Licht zu sehen und inmitten der Stalinorgeln den Gesang der Engel zu hören, da wo im Grunde nichts ist als die übliche Armut, die Ankunft eines Gottessohnes zu erblicken: Das sind Wahrnehmungen des Herzens. Das wusste nun schon Meister Eckhard im 14. Jahrhundert. Theologen sollten nach einem halben Jahrtausend nicht immer noch denselben Unsinn quatschen. Entweder ist etwas real, weil es hier ist, wie eine Tasse Kaffee, oder irreal - und dann ist es nur phantasiert. Menschsein besteht darin, Träume zu haben, die wirklicher sind, als die gottverdammte Wirklichkeit. Religiöse Visionen widerlegen das, was wir wirklich nennen. Nur deshalb ist Religion ein Ort von Hoffnung.

Diesseits: Dann ist Gott nur irreal?

Eugen Drewermann: Dann ist Gott Teil der Subjektivität, die wir brauchen, um als Subjekte zu leben. Er ist das absolute Subjekt. Die ganze Theologie des 20. Jahrhunderts hat eigentlich nur einen einzigen Glaubenssatz: Gott ist das Subjekt, das nie zum Objekt wird. Darin hat sie Recht.

Diesseits: Fühlen Sie sich eigentlich wohl bei den reformierten Protestanten, wo sie die katholische Kirche doch als sehr reformbedürftig ansehen?

Eugen Drewermann: Ich weiß nicht, ob diese Gegensätze noch einen Sinn machen. Darum sag ich: Wir sollten Protestanten werden, um Katholiken bleiben zu können. Aber ich sag´ auch: Wir sollten Buddhisten werden, um bessere Christen zu sein.


Aufgaben:

  • Drewermann übt in diesem Interview heftige Kritik an der gegenwärtigen Praxis der Religion in unserer Gesellschaft.

  • Worauf beruht diese Kritik?
  • Erklären Sie sein Verständnis für den Atheismus !
  • Auch der Religionsunterricht wird in diesem Zusammenhang angesprochen.

  • Ist das für Sie schlüssig? Deckt sich dies mit eigenen Erfahrungen?
  • Warum hält Drewermann an der Religion (und der Kirche) fest ?

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    Eugen Drewermann

    Gott

    Mit dem Wort "Gott" kann alles gemeint sein, woran ein Mensch sein Herz hängt. Rein psychologisch betrachtet ist "Gott" der Konzentrationspunkt der stärksten seelischen Energie, doch es fragt sich natürlich, was das sein sollte, - was wirklich verdient, als "Gott" genommen zu werden. Alle Mächte und Dinge, die dem Menschen zum Leben wesentlich sind, wurden in der Religionsgeschichte als göttlich erlebt:

    Tiere, Pflanzen, Sterne, Winde, Berge, Flüsse - alles, auch seelische Gegebenheiten wie Liebe und Krieg, Weisheit und Hoffnung, oder gesellschaftliche Aktionen wie Ernte und Krieg, oder bestimmte Personen wie Kaiser und Päpste; doch immer lässt sich feststellen, dass die Freiheit des Menschen eingeengt wird, wenn man irgend etwas als Gott verehrt, das nur einen Teil des Lebens, etwas Relatives, nicht etwas Absolutes darstellt.

    Eine wirkliche Kulturschwelle wurde deshalb überschritten, als die Bibel es insgesamt untersagte, Gott mit irgend etwas "Geschaffenem" zu identifizieren, und darüber hinaus ein ausdrückliches Verbot erließ, sich von Gott feste Vorstellungen, "Bilder" zu machen. Fortan galt es als Daseinsverfehlung, als "Sünde", sich absolut zum Relativen (und damit relativ zum Absoluten) zu verhalten. Wer oder was aber ist dieses Absolute?

    In Übernahme der griechischen Philosophie hat die "christliche" Theologie schon der ersten zwei Jahrhunderte damit begonnen, den Gott der Bibel als "Seinsgrund" zu denken: Alles, was ist, stammt von etwas anderem ab, das es nicht selbst ist; Gott demgegenüber muss das sein, was "aus sich selber ist, was also den Grund seines Daseins in sich selbst trägt. Da alles in der Welt von etwas anderem abhängt, muss die ganze Welt von etwas abhängen, das selber absolut ist; Gott muss die Welt geschaffen haben.

    Dieser "Gottesbeweis" aus der Nicht-Notwendigkeit der Welt wurde in der theologischen Argumentation Jahrhundertelang vorgetragen, er überzeugt aber nicht, ja, er beruht offenbar auf einem Fehlschluss vom Teil aufs Ganze, der leicht zu widerlegen ist: Wenn alle Menschen eine Mutter haben, muss nicht auch die ganze Menschheit eine Mutter haben; warum kann nicht das Universum, auch wenn alle Teile in ihm voneinander abhängen, als ganzes in sich selber gründen; warum kann nicht - im Sinne des Pantheismus oder Atheismus - das ganze Weltall "Gott" sein?

    Von daher wird nicht selten das "Gesetz" in den Dingen oder die "Vernunft", die alles regiert, mit Gott bezeichnet. Aber wie soll ein Mensch leben, wenn das Letzte und Höchste, das er zu erreichen vermag, ein oberstes Prinzip ist, das sich am besten in physikalischen Gleichungen darstellen lässt? Die Welt braucht zur Erklärung ihrer Existenz offenbar keinen Gott, und Gott seinerseits braucht keine Religion; eine religiöse Beziehung zu Gott brauchen einzig wir Menschen, um uns als Menschen inmitten einer Welt zu begründen, die menschlich nicht sein kann. Woran müssen wir Menschen als absolut glauben, um Menschen zu sein? Das ist die eigentliche Frage nach Gott.

    Begriffe, die sehr gut bezeichnen können, was Gott ist (oder doch sein sollte), sind die durch und durch menschlichen Worte Wahrheit und Liebe.

    Viele Menschen gibt es, die von sich behaupten. dass sie an Gott nicht glauben, doch schaut man genau hin, so lehnen sie nur eine bestimmte Vorstellung von Gott ab, die sie im Namen der Wahrheit bekämpfen; es ist die Wahrheit, die ihnen die Kraft gibt, das Bild eines Götzen zu zerstören, und gleichgültig, ob man Gott als die Wahrheit bezeichnet oder die Wahrheit Gott nennt, - ganz sicher erreichen einzig Menschen, die der Wahrheit folgen, jene Wirklichkeit, die unbedingt in unserem Leben gelten sollte.

    Andere Menschen wenden sich von den verfassten Religionen ab, weil sie die starren moralischen Bewertungen des Lebens und die Intoleranz der Dogmen als lieblos empfinden. Für sie ist Gott die Liebe (Sah 4,16), oder sie stehen nicht an, die Liebe selber als Gott zu bezeichnen. Diesen Menschen schenkt der Glaube an die Liebe die Weisheit, dass sie Hass und Gewalt nicht für die eigentliche Wirklichkeit des Lebens halten; sie verleiht ihnen die seelische Stärke, an Menschen oft mehr zu glauben, als diese selbst an sich zu glauben vermögen.

    Beide Haltungen: die Wahrheit wie die Liebe, gehören zusammen, so wie das Denken und das Fühlen; denn was wäre eine Wahrheit ohne Liebe, und was wäre eine Liebe ohne Wahrheit? Doch geht damit die Frage noch ein Stück weiter: Lässt sich Wahrheit denken ohne eine Person, die sie sagt oder sucht, und lässt sich Liebe vorstellen ohne eine Person, die zum Lieben imstande ist? In jeder Religion suchen Menschen nach einem Halt für das, was sie selber sind; Wahrheit und Liebe sind zweifellos die Energien, die ihr Leben zu ordnen und menschlich zu gestalten vermögen; doch wirklich fähig wird ein Mensch zu diesen Einstellungen nur durch das Vertrauen, selber als Person von einer anderen absoluten Person vorbehaltlos und unbedingt gemeint und gewollt zu sein; nur in diesem Vertrauen findet er zu seiner Wahrheit und zur Stärke seiner Liebe.

    Mit Gott ist, so verstanden, das absolute Gegenüber, der Bezugspunkt all unserer Suche nach Wahrheit und Liebe gemeint, der personale Grund eines Vertrauens, das uns selber die Fähigkeit schenkt, als freie Personen zu leben. "Gott", meinte der russische Dichter Fjodor Dostojewski, "ist schon deshalb nötig, weil er das einzige ist, was ein Mensch sein ganzes Leben lang verehren kann."



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