Stellungnahmen zur Bergpredigt

Die Bergpredigt (Mat. 5-7)

Kaum ein anderer Text des Neuen Testaments hat die Kirche durch ihre ganze  Geschichte hindurch so  beschäftigt  wie die Bergpredigt. Bis heute kann die theologische Ethik nicht schlüssig klären, wie mit den radikalen Forderungen Jesu zu verfahren sei. 

Die Bezeichnung "Bergpredigt" für die  erste große Rede Jesu hat sich erst seit dem 16. Jahrhundert eingebürgert. "Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg ..."

Die Rede stellt eine Komposition aus ursprünglich verschiedenartiger Überlieferung dar. Die Parallele im Lukasevangelium zeigt, dass dies Überlieferung überwiegend aus einer (wahrscheinlich schriftlichen) Quelle  (der Logienquelle) stammt.

Beide Redeversionen sind programmatische Zusammenfassungen der Botschaft Jesu. Der gemeinsame Grundstock besteht u.a. aus den Seligpreisungen, Sprüchen über Feindesliebe und Vergeltung, Aussagen über liebloses Richten und der sogenannten Goldenen Regel

Texte: F. Alt | Max Weber  | P. Lapide | C.F.v. Weizäcker | R. Mokrosch |  




 
F. Alt
(geb.1938 ) Journalist und Buchautor

Die Bergpredigt stellt keine unerfüllbaren Forderungen

"Jesus stellt vieles auf die Füße, was vor ihm verkehrt und auf dem Kopf stand. Ihm geht es nicht um religiöse Formeln, sondern um Inhalte; nicht um förmliche Gerechtigkeit, sondern, um Liebe; nicht um Theorie, sondern um Praxis, nicht um Friedensgerede, sondern um Friedenstaten, nicht um die Lehre, sondern um das Leben.
Gilt die Bergpredigt nur für eine paradiesische Endzeit oder schon für diese Welt? Die Welt der Bergpredigt ist im Gegensatz zu dem, was in frommen Büchern dazu steht und in wortgewaltigen Predigten dazu gesagt wird, unsere Welt. Im Jenseits wird vermutlich nicht geschossen und nicht geschlagen, es wird wohl auch keine Gerichtshöfe und keine Gefängnisse geben. Die Bergpredigt handelt vom Anfang bis zum Schluss von unserer Welt. Jesu Schlüsselworte sind "jetzt" und "neu".
Seine Lehre ist keine Vertröstungsideologie, sondern eine Seligpreisung der Friedensstifter, ein Angebot für eine bessere Welt. Wen die Bergpredigt gepackt hat, den durchdringt Jesu Provokation: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." Jesus stellt auch keine unerfüllbaren Forderungen, wie so oft behauptet wird. Er ist Bruder und nicht ein grausamer Despot, der ein böses Spiel mit uns treiben will. Jesus brachte radikal Neues für diese Welt. Seine Moral ist nicht weltfremd, sondern weltverändernd..."
 

"Das neue, 2 000 Jahre alte Menschenbild der Bergpredigt ist ein Aufruf: Entscheidet euch gegen das Gesetz der Gewalt und Vergeltung für das Gesetz der Liebe und Vergebung! - Bedenkt, dass ihr Menschen seid, und vergesst alles andere! Arbeitet an der Überwindung des unmenschlichsten aller Dogmen: dass der Mensch unverbesserlich sei! Die Kirchen lehrten bisher entweder eine heillose Welt oder ein weltloses Heil. Doch seit der Bergpredigt könnten wir wissen: Das Heil ist nicht weltlos und die Welt ist nicht heillos. Wenn wir mitarbeiten an der Heilung der Welt - dann werden wir verstehen und erfahren: Frieden ist möglich."

(F. Alt, Frieden ist möglich, München, Zürich 1985)
 




 
Max Weber, 
1864-1920, Deutscher Soziologe

    

Die Feindesliebe gehört zur Gesinnungs-, nicht zur Verantwortungsethik“

Mit der Bergpredigt ... ist es eine ernstere Sache, als die glauben, die diese Gebote heute gern zitieren. ... Wenn es in Konsequenz der akosmistischen Liebesethik heißt: „dem Übel nicht widerstehen mit Gewalt“ – so gilt für den
Politiker der Satz: du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst – bist du für seine Überhandnahme verantwortlich.

Max Weber, Politik als Beruf (1919), Ges. polit. Schriften, Tübingen 1974, 550f
 
 




 
 
Pinchas Lapide
(1922- 1997) jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler. Herausragend war  sein Engagement für den christlich-jüdischen Dialog.

Interpretationen der Bergpredigt

Die erste kann man die perfektionistische Auffassung nennen. Sie sieht in der Bergpredigt eine Liste von Supergeboten, die klipp und klar sagen: Dies alles musst du tun, damit du selig wirst. Billiger ist die Seligkeit eben nicht zu haben. So gesehen ginge es hier um eine übertriebene Gesetzlichkeit, die aus der Sicht von Paulus und Luther als krasse Ketzerei zu verpönen wäre. Mehr noch! Ein Schulbeispiel für die berüchtigte „Werkgerechtigkeit", die das Heil durch Taten verdienbar macht und ihre eigene Himmelsleiter bauen will. Demgemäß wird die Bergpredigt als „Mosissimus Mose" verstanden, wie ein Lutherwort besagt, nämlich als Inbegriff des starren Legalismus.

Die Zweite ist die Theorie der Unerfüllbarkeit, die davon ausgeht, dass alle diese Forderungen eigentlich übermenschlich sind und nur den Zweck haben, dem Menschen seine eigene Unzulänglichkeit einzubläuen.
Nach dieser Auffassung ist die Bergpredigt dem Menschen auferlegt, damit er über sie stolpere. So soll der Mensch seiner Erlösungsbedürftigkeit überführt werden, damit er zerknirscht das Evangelium von Gottes barmherziger Vergebung zu hören bereit wird.
In den Worten von Gerhard Kittel: „Der Sinn der Bergpredigt ist: Niederreißen. Sie kann nur zerbrechen. Sie hat letzten Endes nur den einen einzigen Sinn: Die große Not des empirischen Menschentums aufzuweisen und bloßzulegen." Anders gesagt: All dies solltest du tun, du jämmerlicher Schwächling, aber du kannst es ja nicht, wie du selber weißt. Also bedarfst du der Gnadenliebe Gottes für alles, was du unternimmst.

Die dritte Theorie, die von der so genannten „Interimsethik" spricht, kann man als Torschlusspanik bezeichnen. Sie sieht in der Bergpredigt einen Aufruf zur äußersten Anstrengung, ehe die bevorstehende Katastrophe des Jüngsten Gerichts anbricht. Nun reiß dich doch ein letztes Mal zusammen, du armer Teufel, bevor es zu spät ist! So steht da zwischen den Zeilen, denn Gottes Gnadenfrist läuft ja vielleicht schon morgen ab. Da sich aber Jesus in seiner intensiven Naherwartung des Vergehens dieser Welt und der Ankunft des „Himmelreiches" als eines völlig anderen Neubeginns geirrt hat, wie inzwischen auch von namhaften Theologen zugegeben wird, droht diese apokalyptische Deutung die Bergpredigt ihrer heutigen Relevanz zu berauben.

Die vierte  Deutung vergleicht die Imperative der Bergpredigt mit der nüchternen Realpolitik der letzten 4 000 Jahre Weltgeschichte und kommt - mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung - zum Schluss, dass sie auf einer moralischen Schwärmerei beruht, die man getrost als Utopie abschreiben kann. Utopie im wörtlichen Sinne des Begriffes: als etwas ohne Standort, also nicht von dieser Welt, kurzum: als heimatlos auf unserer Erde und daher völlig belanglos für die Politik.

Eine fünfte Deutung beteuert, die Bergpredigt gelte nur für den engeren Jüngerkreis Jesu und rufe nur die von ihm Auserkorenen in seine Nachfolge. Hiermit wird zwischen unserer heutigen Welt und dem damaligen Galiläa ein Vorhang der heilsamen Ferne geschoben, der es der weltmännischen Abwehr ermöglicht, dem Text seinen kritischen Stachel zu nehmen und die Forderungen der Bergpredigt als naive Bilderrede abzutun.

Ein sechster Verstehensversuch fußt auf jener Radikalitätsromantik, die in ein paar einfachen aber großartigen Ansprüchen an der Komplexität des Lebens vorbeizugehen gewillt ist. So wird die Bergpredigt zu einem zeitlosen, allgemein gültigen Handbuch der Ethik für die Menschheit erhoben, die alles verlangt, aber im Grunde zu nichts verpflichtet.

Eine siebte Deutung sieht in ihr den Wegweiser zur richtigen Gesinnung im privaten Bereich, die dem Einzelnen zum richtigen Verhältnis zu Gott verhelfen will.

Aus: Pinchas Lapide: Die Bergpredigt - Utopie oder Programm?  Mainz S1992, S. 8 ff.



 
Carl Friedrich von Weizsäcker
(geb.1912 ) Physiker und Philosoph

Als ich ein Kind von elf Jahren war, ist mir die Bergpredigt in die Hand gekommen. Ich hatte ein Neues Testament geschenkt bekommen und habe es gelesen. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass dieser Text mich eigentlich vor allem erschreckt hat; denn ich habe in dem Kinderglauben, in dem ich aufgewachsen war, geglaubt, dass alles, was da steht, wahr ist, und ich habe sofort gesehen, dass die Lebensweise der ganzen Gesellschaft, in der ich lebe, nicht die wahre sein kann, wenn das wahr ist, was in diesem Text steht. Ich habe aber bis zum heutigen Tag nicht vermocht zu behaupten, was da drin steht, sei nicht wahr.

Nun soll ich darüber berichten, was ich heute als ziemlich alter Mann über diese Dinge denke. Und da muss ich sagen, dass ich ein Wissenschaftler geworden bin, wenn Sie so wollen ein Gelehrter geworden bin, und dass ich als solcher diese Texte heute natürlich mit Textkritik lese. Auch mit Textkritik kann ich nicht umhin zu glauben, dass diese Texte die Sprache eines Menschen sind, der wirklich so gesprochen hat. dass uns hier von Jesus, so wie er wirklich gesprochen hat, etwas überliefert ist. Lese ich das nun, dann sehe ich - ich bleibe bei der Bergpredigt - den Anfang mit den Seligpreisungen. Es fängt nicht an mit großen Forderungen, es fängt nicht damit an »Du sollst«, sondern es fängt damit an: Selig bist du, wenn du das tust, was hier gesagt ist. Was ist da gesagt? Es sind ein paar ganz einfache Dinge gesagt: Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit empfangen; und was alles sonst an Seligpreisungen gesagt ist, die einfach aussprechen: Bist du so, dann wird dein Schicksal so sein, wie du bist. Es steht da auch, und das ist die erste Seligpreisung: Selig sind die Bettler im Geist oder durch den Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel; das Reich der Himmel ist für sie da.

Ich habe erst vor kurzer Zeit begriffen, dass dieser Text - wenn ich ihn im Griechischen lese und so sorgfältig interpretiere, wie ich das in meiner Wissenschaft gelernt habe - nicht etwas Übertragenes heißt, nicht heißt: jemand, der um den Geist bettelt oder so etwas, sondern dass es heißt die Bettelmönche, dass es heißt diejenigen, die die Teilnahme an dem ökonomischen Prozess, der die Gesellschaft damals trug, so wie er sie heute trägt, verweigert haben, indem sie hinausgegangen sind in eine freiwillige Armut. 
So hat Jesus zu seinen Jüngern gesprochen, so haben sie offenbar gelebt. Dabei hat er aber nicht gemeint - das geht auch aus allen Worten hervor, die er gesagt hat - , dass man hinausgeht aus dieser Gesellschaft, um ein persönliches Heil, eine persönliche Rettung in etwas anderem zu suchen (eine Versuchung, die ja immer wieder bei den Menschen nahegelegen hat), sondern es ist offensichtlich die Rede von einer Verwandlung der ganzen Welt, die eintreten wird freilich nicht durch das Wollen der Menschen, sondern - wie es heißt - durch den Willen Gottes, vom Himmel kommend, von Gott kommend; deshalb »das Reich der Himmel«. Aber ein Reich hier in dieser Welt. Diese Verwandlung ist angekündigt, und diese Verwandlung ist das, was das Leben bestimmt, so wie Jesus es seinen Jüngern vorschlägt und vorlebt. Das ist die Welt, die dem entspricht, dass gesagt ist: Liebe Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und ganzer Seele. Und das zweite Gebot, das diesem gleich ist: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich verstehe das so, dass man seinen Nächsten wie sich selbst nur lieben kann, wenn man Gott liebt von ganzem Herzen und ganzer Seele. Denn wenn man das nicht tut, so wird man wahrscheinlich den Nächsten in Wirklichkeit fressen wollen, sei es auch durch leidenschaftliche Liebe, was auch ein Fressen ist. Dieses Reich hat Jesus vor sich gesehen als eines, das kommt.

Nun sagen die Menschen: Und zweitausend Jahre sind vergangen, und es ist nicht gekommen. Ich sage darauf nur zwei Dinge. Das eine: Die Christen, die auf nichts anderes gehofft haben als auf das Ende der Geschichte, sind diejenigen, die die Geschichte wirklich umgestaltet haben. Dabei darf man nicht vergessen, dass die heutigen säkularen Veränderungen der Welt vielfach Säkularisierungen von etwas sind, was die Christen zuerst getan und zuerst gesagt haben. Und das zweite, was man sagen kann, das ist, dass zweitausend Jahre in der Geschichte gesehen keine lange Zeit sind. Es hat etwas damals angefangen, was heute noch nicht zu Ende ist.




 
R. Mokrosch
(geb. 1940, Prof. für Ev. Theologie)

 

Kann Feindesliebe Frieden schaffen ?
Jesus fordert seine Anhänger auf, menschliches Regelverhalten, nämlich die Eskalation von Gewalt und Gegengewalt zu blockieren; die Eskalation zu stoppen; Versöhnungsbereitschaft zu signalisieren; den Täter von seiner Tat zu unterscheiden; und im Feind einen von Gott geliebten Menschen , vielleicht sogar einen späteren Freund zu entdecken. Jesus verkündet kein neues Gesetz, sondern eine neue Perspektive: die Perspektive der Gewaltfreiheit im Reiche Gottes schon jetzt auf Erden zu entsprechen, d.h. Verhaltensstile zu entwickeln, die der Gottesherrschaft entsprechen. Jesu Ethik ....ist eine "Ethik der Entsprechungen" zwischen Gottesreich und Weltreich; oder eine "Ethik des Werdens" nicht des Seins, in der der Geschlagene darauf hofft, dass die Feindschaft versöhnt werden kann...

Jesus vertritt keine Ethik des Müssens. Du 'musst' nicht rein gesetzlich die linke Wange hinhalten, sondern du sollst vom Gegner und der Zukunft her denken und daran dein Handeln ausrichten...
Jesus vertritt keine " Ethik hehrer Prinzipien". Du sollst nicht stolz sein auf deine Feindesliebe. Sie ist keine Tugend. Sie ist eine Perspektive, - die Perspektive der Versöhnung, die dir Gott durch seine Versöhnung eröffnet hat.
 
 

(Aus: "Religion heute",1982, S. 207-211)


 

 

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