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Sonntagsblatt-Umfrage - (1997)

 

Was glauben die Deutschen?

Gott gibt's. Aber wie sieht er aus? Die Menschen sind heute ausgesprochen wählerisch, wenn es um ihre Religion geht

VON EDUARD KOPP

Die Deutschen gehen zunehmend auf Distanz zu jenem Glauben, wie ihn die Kirchen lehren. Gerade das Kernstück des christlichen Bekenntnisses, dass Gott ein persönliches Gegenüber des Menschen ist, verliert an Boden. Selbst die treuesten Kirchgänger mögen dem nicht mehr zustimmen. Stark im Kommen dagegen, vor allem bei Frauen: Neugier auf bunte, geheimnisvolle Vorstellungen wie Seelenwanderung, Gedankenübertragung, Vorsehung oder Astrologie.

Die große Glaubensumfrage, im Auftrag des Sonntagsblatts durchgeführt vom Demoskopie-Institut EMNID, bringt einen abstrakten Gott zum Vorschein, der nur wenig Einfluss auf die Geschehnisse der Welt nimmt. Als Stützen des christlichen Glaubens erweisen sich vor allem Westdeutsche und ältere Menschen, die Katholiken etwas mehr als die Protestanten. Und mit steigender Bildung tun sich Menschen mit dem christlichen Glauben schwerer.

Um den Glauben der Deutschen steht es gut. Wenn es eines Beleges dafür bedurft hätte, dass die religiöse Substanz in unserer Gesellschaft nicht schwindet, hier ist er: in den Ergebnissen der Sonntagsblattumfrage "Was glauben die Deutschen?". Ein überzeugter Atheismus ist danach eine eindeutige Minderheitenposition. Die Menschen erweisen sich mehrheitlich als religionstreu.

Doch ebenso unübersehbar ist: Die religiösen Einstellungen der Menschen (befragt wurden 2000 Bundesbürger ab 14 Jahre) wandeln sich umfassend und dramatisch. Glaube artikuliert sich zunehmend unkirchlicher, vielfältiger, bunter. Die Deutschen werden religiös wählerisch. Frauen wie Männer lassen sich in unerwartet hohem Maße auf außerkirchliche Sinnangebote wie zum Beispiel die Astrologie ein. Sonne, Mond und Sternen trauen vor allem Frauen einen Einfluss auf ihr Leben zu.

Geister sind überwiegend Frauensache, Außerirdische Männersache. In Zahlen gesprochen: Die göttliche Kraft ist für fast 57 Prozent der Befragten eine Tatsache, für zusätzlich über 10 Prozent eine Möglichkeit (Prozentzahlen gerundet). Über 67 Prozent der Befragten sind also Stützen der Religion beziehungsweise offen in dieser Frage.

Umgekehrt stellen exakt 33 Prozent der Deutschen eine göttliche Kraft in Abrede beziehungsweise sagen: Das ist mit völlig egal. Die insgesamt überwiegend religionsfreundlichen Auskünfte schließen die mehrheitlich ablehnenden Angaben des Ostdeutschen bereits ein: Zwei von drei glauben definitiv nicht an eine göttliche Kraft .

Doch neben der erstaunlichen religiösen Offenheit fällt auf: Gott wird zunehmend gesichtslos. Er ist als persönliches Gegenüber selbst für die Gläubigen kaum noch fassbar. Sie sehen ihn irgendwie abstrakt, vor allem in der Natur und als nichtpersönliche Kraft am Werke. Als Ansprechpartner der Menschen, offen für einen direkten Austausch, ist er allenfalls noch für 17 Prozent der Gläubigen und der Unentschiedenen glaubhaft.

Ein noch gravierenderes Ergebnis der Umfrage: Selbst unter den regelmäßigen Kirchgängern sieht nur jeder dritte Gott als persönliches Gegenüber . Häufiger vermutet selbst diese Gruppe Gott in der Natur. Ist Gott auf einem unaufhaltsamen Weg direkt in die Abstraktion?

Die Kirchen müssen sich aufgrund der EMNID-Untersuchung fragen, warum der Glaube an einen persönlichen Gott, an ein Gegenüber voller Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Fürsorge für seine Menschen, so wenig verbreitet ist. Ist es ein Reflex darauf, dass in Schule und Gemeindearbeit zu bildhaft, zu menschlich von Gottes Handeln gesprochen wird? Oder gibt es einen biographisch notwendigen Schritt in Richtung Glaubensmündigkeit?

Tatsache ist: Mit höherer Bildung steigt die Abstraktion der Gottesvorstellung. Die Bildung hat einen erheblichen Einfluss auf die Gottesvorstellung der Gläubigen/Unentschiedenen: Eine nichtpersönliche, universale Kraft halten ein knappes Drittel der Volksschüler ohne Lehre, aber über 55 Prozent der Abiturienten und Akademiker für wahrscheinlich.

Der Trend bestätigt sich hinsichtlich des Glaubens an einen persönlichen Gott: 24,2 Prozent der Volksschüler ohne Lehre glauben an ihn, aber nur noch 13,5 Prozent der Abiturienten. Das muß Folgen für Religionsunterricht und Katechese haben. Und nicht nur da: Von der Liturgie der Gottesdienste bis zur Predigt - überall muss Kirche auf diesen Trend reagieren, der den jüdisch-christlichen Glauben an ein göttliches Du aus den Angeln hebt.

Es gibt tatsächlich einen Traditionsabbruch in den Kirchen, und er wird fassbar in solchen Bekenntnisverschiebungen. Die vielzitierte Säkularisierung jedoch, der zufolge die moderne Gesellschaft automatisch und notwendig die Kirche schlucken wird, ist mit den neuen Daten nicht zu belegen. Die Säkularisierungsthesen sind letztlich alle unbelegbar, irrational: Sie gehen davon aus, daß es einmal eine insgesamt christliche Gesellschaft gegeben habe, sei es im Mittelalter, in Zeiten des Staatskirchentums oder im 19. Jahrhundert. Das war jedoch nie der Fall. So spiegelt die Säkularisierungsthese eher die Angst der Kirchen vor der Moderne als tatsächliche Entwicklungen.

Den sanften Prozess der Entkirchlichung, den die EMNID-Daten zeigen, haben die Kirchen allerdings selbst mit angestoßen, indem sie die Selbstverantwortung der Menschen zu ihrem Prinzip gemacht haben. Christlicher Glaube ist freiheitlich, nach innen wie außen. Er wird sich deshalb auch gegen schicksalsbestimmte Religionsprogramme wie Vorherbestimmung und Sternenglauben durchsetzen. Mit steigendem Bildungsabschluss fühlen sich Menschen der christlichen Religion weniger nahe. Fast um zehn Prozent differieren die Angaben der Volksschüler und solcher mit höheren Abschlüssen: Mittlere Reife, Abitur und Studium bringen einen Schwund von rund zehn Prozent gegenüber den Volksschülern hinsichtlich der Nähe zur christlichen Religion mit sich (von rund 63 auf rund 53 Prozent).

Der Buddhismus wirkt besonders anziehend auf die Altersgruppe der 30- bis 39jährigen und Menschen mit Abitur. Interessant ist auch: Nicht Glauben überhaupt, sondern die konfessionellen Milieus alter Prägung sind in Auflösung begriffen.

Die Ergebnisse der Sonntagsblatt-Umfrage sprechen eine klare Sprache: 62 Prozent der Befragten wünschen sich einen Zusammenschluss der evangelischen und katholischen Kirche. Dass sich der Traditionsabbruch auf die Jugendlichen konzentriert, ist allerdings ein Trugschluss. Auch die älteren Gläubigen (und die Unentschiedenen) haben zum Beispiel große Probleme mit dem Glauben an ein persönliches Gegenüber .

Mit steigendem Alter verändert sich auch die Nähe zu einem Gott in der Natur : Die unter 30jährigen Gläubigen/Unentschiedenen sehen ihn dort zu 43 Prozent, die über 60jährigen zu 55 Prozent. Die Kirchen darf es nicht beruhigen, daß es gläubige Menschen in hoher Zahl gibt, die lediglich auf Distanz zur Institution gehen, und daß sie als anonyme Christen oder Distanzierte nicht grundsätzlich oder endgültig für die Kirche verloren sind.

Die kirchenfernen, wenngleich religiösen Menschen sind kein Reservoir, keine Ersatzarmee der Kirchengemeinden. Jede Selbstbeschwichtigung in diesem Sinne ist fehl am Platz. Die Kirchen werden akzeptieren müssen: Die Religionsstile der Menschen fächern sich immer mehr auf, die Individuen treten stärker in den Vordergrund. Und die sind sich ihrer neuen Rolle sicher: Jede/r dritte Gläubige/Unentschiedene - die Männer vorweg - hält Gott nämlich für einen passiven Zuschauer, aber knapp 45 Prozent von ihnen sagen: Er zeigt sich in uns selbst, im Menschen.

An den religiösen Suchbewegungen der Menschen werden sich die Kirchen noch entschiedener beteiligen müssen. Sie können es nur dann, wenn sie sich vor Augen halten, dass auch ihre eigenen Traditionen unter unterschiedlichsten historischen Voraussetzungen entstanden und zum Zuge kamen. Jede vorschnelle Berufung auf eine zeitlose Offenbarung oder auf ewige Werte könnte ihre Offenheit und ihre Beweglichkeit blockieren.

Glaube heute ist teilweise synkretistisch, also zusammengebastelt , und zwar innerhalb wie außerhalb der verfassten Kirche. Menschen haben heute nicht nur die Freiheit, sondern den Zwang zur Wahl. Diese Wahl besteht nicht nur darin, sich aus den Angeboten der Kirchen etwas Passendes auszusuchen und für sich zu akzeptieren.

Es geht noch weiter: Die Menschen konstruieren heute, sehr zum Verdruss der Kirchen, ihre eigene Religion. Sie adaptieren, modellieren, verändern Formen und Inhalte. Kirchliche Pauschalangebote, gleichsam religiöse Pakete , sind ziemlich unbeliebt. Und so kann es zu der erstaunlichen Umfrage-Erkenntnis kommen, dass 27 Prozent der Protestanten und 18,5 Prozent der Katholiken angeben, sich keiner Religion nahe zu fühlen .

Die Gegenwart ist sicherlich religionsproduktiver als frühere Zeiten. Doch keiner der heutigen Trends müsste die Kirchen irritieren. Kirche war nie das einheitliche, homogene Gebilde, das in den Schulbüchern steht. Eine Theologie auf der Höhe der Zeit wird nach Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen den vielen modernen Trends und ihren religiösen Traditionen suchen, statt vorschnell Traditionsabbruch und Diskontinuität zu beklagen.


Helmut Apel, beim Meinungsforschungsinstitut EMNID für die Sonntagsblatt-Umfrage zuständig, zeigte sich erstaunt, dass trotz einer großen Offenheit für den Glauben (zwei Drittel aller Befragten) jeder zweite meinte, die Kirche habe für die entscheidenden Fragen und Probleme des Lebens keine Antworten. Mit der Gottlosigkeit der säkularen Gesellschaft allein, so der Sozialwissenschaftler, lässt sich das wohl nicht begründen.


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"Christsein ist kein Alleingang ..."

Der EKD-Ratsvorsitzende und badische Landesbischof Klaus Engelhardt im Gespräch zur DS-Umfrage Was glauben die Deutschen?

DS: Herr Ratsvorsitzender, nur noch eine knappe Mehrheit (56,8 Prozent) der Deutschen ist laut DS-Umfrage davon überzeugt, dass es eine göttliche Kraft gibt. Innerhalb dieser Gruppe sind wiederum sehr viele diffuse Gottesbilder anzutreffen. Muss dieses Ergebnis die großen Kirchen beunruhigen?

Klaus Engelhardt: Mich beunruhigt vor allem, dass es uns Christen nicht besser gelingt, durch unser Reden und Handeln diejenigen, die nicht überzeugt sind, auf die Spuren Gottes in unserem Leben und in unserer Welt hinzuweisen. Die Gottesvorstellungen waren auch in früheren Zeiten nie einheitlich. Außerdem ist es ein Unterschied, ob ich in einem atheistischen Weltanschauungsstaat oder in einem weltanschaulich neutralen Staat groß geworden bin.

Die Vielfalt von Gottesbildern und Gottesvorstellungen hat schon den Apostel Paulus umgetrieben, ebenso Martin Luther und Karl Barth. Von ihnen können die Kirchen lernen, was sie in einer solchen Situation in den Mittelpunkt ihrer Botschaft zu stellen haben: das Zeugnis von Jesus Christus, neu entdeckt und auf farbige Weise so zur Sprache gebracht, daß die Menschen neugierig werden.

DS: Gott ja, Kirche nein - auf diese Formel lässt sich das Ergebnis der DS-Umfrage bringen. Was kann die EKD tun, um die Kluft zwischen dem vorhandenen Glauben und der fehlenden Kirchentreue zu verringern?

Engelhardt: Die Kirche muss den Menschen so nahe kommen, dass sie spüren: Im Alleingang kann ich nicht Christ sein. Wenn ich Zweifel habe, bin ich darauf angewiesen, dass ich mich mit anderen Christen austausche. Wenn es mir die Kehle zuschnürt und die Worte zum Gebet fehlen, ist es gut, wenn andere an meiner Stelle beten. Kirche muss lernen, kommunikationsfähig zu werden. Kirchentage sind großartiges Training dafür und gleichzeitig der Beweis, dass viele Menschen spüren: Es gibt kein Christsein im Alleingang.

DS: Etwa zwei Drittel der Deutschen sind laut unserer DS-Umfrage der Meinung, die evangelische und katholische Kirche sollten sich zusammenschließen. Muss die EKD ihr konfessionelles Profil stärken, oder sollte die Zusammenarbeit beider Kirchen stärker ausgebaut werden?

Engelhardt: Die Alternative lasse ich nicht gelten. Unsere Kirche gewinnt größere ökumenische Unbefangenheit und Offenheit, wenn sie ihr Profil schärft. Nur wer kein Profil hat, muss sich ständig abgrenzen. Mit oberflächlichen Motiven nach der Melodie "Wir haben alle einen Herrgott" ist keine tragfähige ökumenische Zusammenarbeit zu erreichen. Das führt bestenfalls zum kleinsten gemeinsamen Nenner, und der reicht nicht aus.

Unterschiede in der Frömmigkeit und religiösen Kultur, wie sie sich in nahezu fünf Jahrzehnten herausgebildet haben, können doch nicht auf Anhieb rückgängig gemacht werden. Zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche gibt es sowohl in den Gemeinden als auch auf der Leitungsebene ein intensives Zusammenwirken. Da sind Selbstverständlichkeiten gewachsen, von denen vor dreißig oder zwanzig Jahren niemand geträumt hat.

Um so schmerzlicher ist für mich, dass wir nicht miteinander das heilige Abendmahl feiern können. Ob es auf dem in Aussicht genommenen ökumenischen Kirchentag geschehen kann? Nach meiner Meinung nur dann, wenn wir uns nicht mit oberflächlichen Formeln dorthin auf den Weg machen. Ökumene in unserem Land ist nicht nur Ökumene mit der katholischen Kirche, sondern auch mit anderen Kirchen, zum Beispiel mit der Evangelisch-methodistischen Kirche oder der altkatholischen Kirche oder den Baptisten.

Wir dürfen auf keinen Fall ökumenisch unter unserem Niveau bleiben. Wir verstehen die Bibel besser, wenn sie kein konfessionelles Kultbuch bleibt, sondern wenn wir sie mit den Augen und Herzen von Christen aus anderen Kirchen lesen und begreifen.

 

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