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„Zurück zur Fackel der Aufklärung"
Der französische Philosoph Michel Onfray, 48, über Glaube, Lügen und Gewalt

SPIEGEL: Monsieur Onfray, wenn wir hier wären, Ihnen den Tod Gottes zu verkünden, würden Sie Champagner bestellen? 
Onfray: So weit wird es nie kommen. Solange die Menschen sterben müssen, wird es Gott geben. Er existiert als Ausflucht vor der existentiellen Furcht, der Unfähigkeit, zu akzeptieren, dass wir und die Menschen, die wir lieben, verschwinden werden. Das ist die Qual, die Menschen dazu bringt, sich eine ,Hinterwelt' zu erschaffen, wie Nietzsche es nannte.

SPIEGEL: Und weil Gott nichts ist als eine Ausflucht, ist er unsterblich?
Onfray: Ein Mythos lässt sich nicht töten -so wenig wie ein Kindermärchen. 

SPIEGEL: Gott, Allah, Jahwe - nichts als Ausgeburten einer globalen Neurose? Sie beleidigen Abermillionen Gläubige. 
Onfray: Gott kann das Meer in zwei Teile teilen, er kann am Kreuz sterben und drei Tage später wiederauferstehen - solche Geschichten sind Märchen für die Kinder der Religion, das Äquivalent der Weihnachtsmann-Story für die wirklich Kleinen. Wieso gilt es als beleidigend, diese Tatsache zu benennen? 

SPIEGEL: Auch den Papst, auch gläubige Intellektuelle rechnen Sie zu den kindlichen Gemütern?
Onfray: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Intelligenz und Glaube. Benedikt XVI. ist ein großer Philosoph, ein gebildeter, kultivierter Theologe; das hindert ihn aber nicht, zu sagen, dass Johannes Paul II., auf den Balkon im Hause des Herrn gestützt, uns zusieht. Ein Toter guckt da runter.

SPIEGEL: Machen Sie es sich nicht zu leicht? Vieles in der Bibel ist schlicht Lyrik, Allegorie, Symbolik ... 
Onfray: ... was einem Freifahrtschein gleichkommt, sich seine Religion a la carte zusammenzustellen. Meine katholischen Freunde sagen: Also was der Papst über die Treue sagt, über die Ehe, über das Kondom, nein, das akzeptiere ich nicht. Und die Jungfrauengeburt, die Hölle, das Fegefeuer, das sind alles bloß Symbole. Aber wenn all das gar nicht so gemeint ist, wozu dann überhaupt noch Religion? 

SPIEGEL: Vielleicht, weil sie Millionen Menschen Trost und Halt gibt? 
Onfray: Es gibt auch Millionen Leute, die ihr Leben mit Drogen und Alkohol stabilisieren - ich bin nicht sicher, ob dieser Zweck das Mittel heiligt. Ich lade dazu ein, sein Leben mit Hilfe der Philosophie
ins Gleichgewicht zu bringen. Epikur, Montaigne, Voltaire zu lesen erscheint mir ausgleichender als die Lektüre der Bibel, des Korans oder des Talmuds. 

SPIEGEL: Ist der Glaube nicht Privatsache? Wo bleibt die Toleranz? 
Onfray: Ich will doch nicht die Kirchen abbrennen oder die Polizei aussenden, um Gebetsteppiche zu konfiszieren. Die Gläubigen stören mich ja gar nicht. 

SPIEGEL: Was dann?
Onfray: Das Problem an der Religion ist, dass sie über Körper und Leben der Menschen verfügen will. Und, dass sie Lügen generiert. Die jüngste stammt von Papst Benedikt, der in Brasilien behauptete, die Christianisierung habe sich nie mit Gewalt vollzogen.

SPIEGEL: Sie hingegen sehen in der Religion die wichtigste Ursache von Gewalt? 
Onfray: Feindseligkeiten sind Teil der menschlichen Natur; es ist nicht die Religion, die die Gewalt der Menschen untereinander schafft. Aber alle Religionen predigen die Liebe - also wäre es eigentlich ihre Aufgabe, die natürliche Gewaltbereitschaft zu zügeln. Stattdessen sind sie deren Katalysatoren. 

SPIEGEL: Sie nehmen vor allem die drei Monotheismen aufs Korn. Sind Buddhismus und Hinduismus Ausnahmen? 
Onfray: Nein, auch sie sagen uns, dass es eine Hinterwelt gibt und dass diese der
hiesigen ihren Sinn verleihe, einen Ort, wo zumindest die Seelen weiterexistieren, einen Ort der Wahrheit, während das Hier und Jetzt Illusion sei. Auch die Abscheu gegen die Frauen, gegen alles Weibliche gehört zu den Gemeinsamkeiten all dieser Religionen. Frauen werden nur als Mutter und Gattin verehrt. Gleichzeitig wird körperliche Lust zurückgewiesen, Leidenschaften, Triebe, Sexualität. Praktisch alle Religionen funktionieren nach dieser Logik: Sie laden uns ein, uns mit dieser Welt zu überwerfen, um nur die andere Welt zu feiern. 

SPIEGEL: Nach dem 11.September forderten viele, auf die islamische Herausforderung mit einer offensiven Verteidigung der abendländischen, jüdisch-christlichen Werte zu antworten. Sie empfehlen den Atheismus. Ist das nicht eine ebenso bequeme wie gefährliche Kapitulation?
Onfray: Ich will nicht wählen müssen. Eine der Lektionen des 20. Jahrhunderts war doch, dass man im Kalten Krieg die Intelligenz von Intellektuellen wie etwa Sartre vergeudet hat, indem man sie zwang, sich zwischen der Sowjetunion und Amerika zu entscheiden. Heute haben wir exakt das gleiche Muster. Diesmal sollen wir im sogenannten Krieg der Kulturen wählen zwischen dem jüdischchristlichen Weltbild eines George Bush und dem Islam Bin Ladens. Bei dem einen hat man es zu tun mit einem Ex-Alkoholiker, der jetzt regelmäßig mit Gott redet, weil der ihm sagt, was er zu tun hat. Und auf der anderen Seite steht Bin Laden, der meint, man müsse alle Ungläubigen niedermetzeln. 

SPIEGEL: Und was wollen Sie dann dem fanatischen Islamismus entgegensetzen?
Onfray: Was wäre, wenn wir die Fackel der Aufklärung wieder aufnähmen? Die Philosophie der Aufklärung war die Philosophie der Vernunft... 

SPIEGEL: ... aber auch der Toleranz. 
Onfray: Richtig. Aber es gibt Grenzen der Toleranz. Voltaire duldete zum Beispiel keine Folter, keine Ungerechtigkeit. Für heute heißt das: Es gibt die Meinungsfreiheit - aber nicht, um Lügen und Irrtümer zu verbreiten. Jedenfalls müssen wir nicht in den Krieg ziehen, den die Muslime wollen, um die jüdisch-christliche Standarte hochzuhalten. 

SPIEGEL: Die Religion gilt als Urquell der Moral. Bleibt sie nicht auf der Strecke in Ihrem vernunftgesteuerten Atheismus?
Onfray: Die Moral im antiken Athen oder Rom hatte nicht viel zu tun mit Religion.

SPIEGEL: Aber christliches Leben lässt sich nicht trennen von den Zehn Geboten. 
Onfray: Seit das Christentum Europa dominiert, da haben Sie recht, war Moral das, was der Klerus sagte. Aber bloß weil etwas immer so war, muss es nicht immer so weitergehen. Bloß weil man jahrhundertelang behauptete, dass Frauen weniger wert seien, muss man das nicht auf immer und ewig glauben. Moral muss nicht theologisch begründet sein, sie kann auch in der Philosophie wurzeln.

SPIEGEL: Ganz ohne höheres, göttliches Gebot? Ohne Gott ist alles erlaubt. 
Onfray: Ja, das hat Dostojewski gesagt. Ich hingegen behaupte: Es ist genau umgekehrt. Weil Gott existiert, ist alles erlaubt. Gab es nicht Völkermorde, Massaker, Verfolgung in seinem Namen? Ich glaube nicht, dass die Existenz Gottes die Schlechtigkeit des Menschen zu bremsen vermag. Kein Gott muss uns sagen, dass wir eine gerechte Gesellschaft schaffen oder unsere Nächsten lieben sollten.

SPIEGEL: Wer oder was sagt es dann?
Onfray: Ein Gesellschaftsvertrag. Menschen müssen miteinander leben. Stellen wir also kulturelle Spielregeln auf, um gut miteinander zu leben. Am Anfang steht die Idee, dass man mit seinem Nachbarn nicht einig sein, ihn aber respektieren muss, wer auch immer er sei. Damit beginnt die Konstruktion aller Ethik. Man muss in einen Dialog eintreten, sich intellektuell austauschen und so gemeinsam die Werte aufbauen. 

SPIEGEL: Und wie wollen Sie die Gläubigen von dieser Sicht der Dinge überzeugen? Welche Antwort hat der Philosoph zu bieten auf die Sinnfrage, auf die Frage nach dem Woher und dem Wohin? Onfray: Genau darauf bietet die Wissenschaft präzise Antworten: Woher? Vom Urknall über die Evolution bis heute wirkte eine Art Mechanik materialistischer Kausalitäten. Und wohin gehen wir? In Richtung unseres Verschwindens. Die „Kritik der reinen Vernunft", Beethovens Fünfte - nichts wird bleiben. 

SPIEGEL: Wie tröstlich - wir kommen aus dem Nichts und kehren dorthin zurück... 
Onfray:... aber dazwischen liegt das eine, kostbare Leben! Das gilt es zu genießen, denn diese Welt ist liebenswert und wirklich. Man muss sich auch nicht gegen den Körper wehren, gegen das Fleisch, die Begierde, die Triebe; Frauen sind das Beste, was uns Männern im Leben passieren kann, Sexualität ist keine Schande und die Malerei, die Literatur, das Reisen, die Musik darf man lieben. 

SPIEGEL: Und jetzt müssen wir alle Hedonisten werden? Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie nun Ihrerseits einen Kreuzzug gegen die Gläubigen führen. 
Onfray: Ich habe nicht den Wunsch Dirigent der Massen zu sein, gewiss nicht. Bei Nietzsche gibt es einen Satz, den ich sehr schätze: „Verhasst ist mir das Folgen und das Führen."
 

Aus "Spiegel" 22/2007

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