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Der
Psychoanalytiker Tillmann Moser (geb. 1938) beschreibt in seinem
Buch "Gottesvergiftung" den Prozess seiner religiösen Erziehung bzw.
Entwicklung. Es war der übermächtige Gott, der sein Selbstwertgefühl
beeinträchtigte. Der Gottesglaube wird zur Gottesvergiftung.
Anhand
des Textes kann über die eigene religiöse Entwicklung nachgedacht
werden. Aber auch grundsätzliche Kritik an der Religion kann herausgearbeitet
werden. |
Tillmann
Moser
Gottesvergiftung
"...Neulich
war ich auf einem gruppentherapeutischen Training, und es ging um das Ausmaß
von Hemmungen, das jeder mit sich herumträgt. Da fragte der Trainer,
welche Sätze uns in unserem Leben am meisten eingeschüchtert
hätten. Weißt du, was bei mir zum Vorschein kam als die mich
domestizierende, einengende, schachmatt setzende stereotype Phrase: Was
wird der liebe Gott dazu sagen?
Durch
diesen Satz war ich früh meiner eigenen inneren Gerichtsbarkeit überlassen
worden. Im Grunde mussten die Eltern gar nicht mehr sehr viel Erziehungsarbeit
leisten der Kampf um das, was ich tun und lassen durfte, vollzog sich nicht
mit ihnen als menschliche Instanz, mit der es einen gewissen Verhandlungsspielraum
gegeben hätte, sondern die Selbstzucht, wie das genannt wurde, war
mir überlassen, oder besser, der rasch anwachsenden Gotteskrankheit
in mir.
Du
hast mir dann kaum noch Chancen gelassen, mit mir selbst ein auskömmliches
Leben zu führen. Weißt du, welches Wort mich mit einer abenteuerlich
tiefen Angst erfüllt hat? Aussätzigkeit. Dir ist es doch tatsächlich
gelungen, dass ich mich wegen meiner kleinen Durchschnittssünden jahrelang
aussätzig fühlte. Und die Aussätzigen auf den biblischen
Bildern wurden isoliert, an langen Stangen ließ man ihnen die Mahlzeiten
reichen, sie mussten mit Klappern herumlaufen, damit niemand durch sie
angesteckt wurde.
Über
seelische Vorgänge, gar über Ängste, wurde in unserer Familie
nicht geredet. So war ich deinem Wüten in mir ausgeliefert und hatte
nicht einmal den Gedanken daran, dass es irgendwo Entlastung geben könnte.
Dein Hauptkennzeichen für mich ist Erbarmungslosigkeit. Du hattest
so viel an mir verboten, dass ich nicht mehr zu lieben war. Deine Bedingungen
waren zu hoch für mich, und niemand hat sie gemildert, weil von einem
bestimmten Punkt an nicht mehr davon die Rede war. Ich habe dich flehentlich
gebeten, mich auf die Seite der Schafe. zu nehmen, doch ich wusste, dass
ich zu den Böcken. gehörte. Es war mir als Kind so selbstverständlich,
dass die Welt, die jetzige und die spätere, aus Geretteten und aus
Verdammten bestand; das Fürchterliche war nur, dass ich, wie es auf
manchen Bildern zu sehen ist, immer über dem Abgrund der Verdammnis
hing und niemals wusste, wie lange der schmale Steg noch halten würde
der mich trug Als im Religionsunterricht die Prädestinationslehre
besprochen wurde, nach der es durch deinen unerforschlichen Ratschluss
den Menschen von Anbeginn an bestimmt ist, ob sie zu den Geretteten oder
den Verdammten gehören, überfiel mich eine entsetzliche Lähmung,
weil alles ausweglos erschien. Mich faszinierte es, wie viele Mittel meinen
katholischen Schulfreunden gelassen wurden, um sich doch noch zu retten,
um Ablass zu erhalten. Ich lauschte oft atemlos ihren Berechnungen, wenn
sie vor und nach der Kommunion, ihre Sünden und die Strafen und die
Wiedergutmachungsforderungen berechneten, und wenn ihnen die Lage nicht
aussichtslos erschien.
Ich
habe dich, wie es mir deine Diener nahe legten, angestaunt ob deiner Güte,
Abraham den Isaak nicht schlachten zu lassen. Du hättest es ja so
leicht fordern können, er hätte es für dich getan, und mit
dem Rest von Menschenwürde in deinem auserwählten Volk hätte
es nur noch ein wenig fürchterlicher ausgesehen. Oder hast du vielleicht
nur ein unverschämtes Glück gehabt, dass dir in letzter Sekunde
die Idee kam, einen Engel an den Ort des geplanten Gemetzels zu schicken?
Vielleicht wären dem guten Abraham doch noch Zweifel an den Vorteilen
seiner privilegierten Beziehung zu dir gekommen, wenn ihn erst Isaacs Blut
bespritzt hätte? Bei deinem eigenen Sohn warst du dann ungenierter
und hast deinem Sadismus freien Lauf gelassen. Man hat mir weismachen wollen,
dass du mit seiner Opferung am Kreuz den neuen Bund der Liebe hast einläuten
wollen. Und wiederum habe ich versucht, auf allgemeine Aufforderung hin,
dich anzustaunen, weil du für mich armen Sünder deinen einzigen
Sohn geopfert hast. Das macht natürlich Eindruck. Wie schlecht muss
ich sein, dass es einer solchen Inszenierung bedarf, um mich zu erlösen!
Seltsam, seltsam - keiner von den Predigern hat je Verdacht geschöpft,
dass vielleicht nicht mit uns, sondern mit dir etwas nicht stimmt, wenn
du vor lauter Menschenliebe deinen Sohn schlachten lassen musstest. Und
uns gibst du ihn dann zu trinken und zu essen, wie es heißt, zur
Versöhnung.
Ich
weiß, du hast nach mageren Jahren zur Zeit eher wieder Hochkonjunktur,
und es könnte unfair scheinen gerade jetzt mit dir eine kleine Abrechnung
zu halten Ich kann aber nichts dafür, wenn ich so unerhört lange
gebraucht habe, dich zu durchschauen. Wie gesagt, ich hielt dich für
verwest, bis ich entdeckte, dass du als Krankheit in mir weiterlebst."
(aus: Gottesvergiftung,
Frankfurt/M. 1976, S. 16 f.)
Nachtrag
Volker
Rahn,
Evangelische
Kirchenzeitung (2003)
Gegengift:
Kirchenkritiker Tilmann Moser sucht nach dem erträglichen Gott
Tilmann
Moser gilt deutschlandweit als einer der Erneuerer der analytischen Psychotherapie.
Doch gleichzeitig hat sich der pietistisch erzogene Therapeut auch den
Ruf eines scharfen Kritikers des Christentums eingehandelt. Sein 1976 erschienener
Bestseller "Gottesvergiftung" sorgte für Furore: In dem Werk rechnete
er schonungslos mit seiner eigenen religiösen Geschichte ab und nahm
Gott ins Kreuzverhör: "Aber weißt du, was das Schlimmste ist,
das sie mir über dich erzählt haben? Es ist die tückisch
ausgestreute Überzeugung, dass du alles hörst und alles siehst
und auch die geheimsten Gedanken erkennen kannst (...) Dein Hauptkennzeichen
für mich ist Erbarmungslosigkeit. Du hattest so viel an mir verboten,
dass ich nicht mehr zu lieben war." Damit hatte sich Moser einen Namen
aber auch viele Feinde in Kirchenkreisen gemacht.
Inzwischen
ist ein Viertel Jahrhundert vergangen. Und der einst provozierende Psychotherapeut
hat sich überraschend gewandelt. Heute nennt er sich selbst vollen
Ernstes einen "Diener Gottes". Er wolle Menschen helfen, ihre Seele heilen.
Und fast reumütig gibt Moser nach seinen einstigen Hasstiraden zu:
"Wir sind eingebettet in etwas Drittes. Der Bezug auf Gott wirkt außerdem
wie ein Gegengift gegen Hochmut. In der ‚Gottesvergiftung' komme ich mir
heute ein Stückchen hochmütig vor. Ich tat so, als wäre
mein menschlicher Verstand ausreichend, Gott in dieser Schärfe anzugreifen."
Dass Tilmann Moser inzwischen einen Zugang zu einem anderen Gottesverständnis
gefunden hat, zeigt er nun in seinem neuesten Buch "Von der Gottesvergiftung
zu einem erträglichen Gott". Überraschend schlägt der einst
zornige Seelenarzt nun gemäßigtere Töne an. Ausgehend von
seinen Praxiserlebnissen mit Patienten sucht er ein neues, für ihn
tragbareres Fundament der Religiosität. Er findet es in einem "freundlichen
Gottesbild" und der "Fähigkeit zur Andacht".
Beides
- so seine Erkenntnis - kann im Leben Nutzen bringen, sogar dabei helfen,
seelische und körperliche Gebrechen zu vermeiden. Unversöhnlich
zeigt sich Moser dagegen weiterhin, wenn Glaube dazu mißbraucht wird,
die Psyche der Menschen einzuschnüren. Und da hat er weiterhin seine
Probleme mit vielen christlichen Dogmen. Als Anhänger Sigmund Freuds
sieht er eine Reihe von zentralen Aspekten des Christentums wie die Betonung
des Kreuzestodes oder die Rede von Schuld und Sühne ausgesprochen
negativ. Eine Patentantwort, wie eine moderne, menschengerechte Kirche
diese Spannung auflösen könnte, hat aber auch Moser nicht parat.
"Vielleicht bringt uns die Diskussion einige Schritte weiter", hofft er.
Spannend sind schließlich auch seine Innenansichten von evangelischen
Pfarrerinnen und Pfarrern, die bei ihm auf der Couch waren. Mit 20 von
ihnen hat er sich in Gesprächen und Rollenspielen ihrem Innersten
und dem "oft gar nicht immer friedvollen Wandel in den Gemeinden" gestellt.
Überrascht war er selbst von der angestauten Wut der Seelsorgerinnen
und Seelsorger auf Gott, die Kirche und ihre eigene Person, die sich meist
in Läster-Tiraden entlud. Moser: "Selbstkritisch wie der Pastorenhaufen
war, neigten sie zur Annahme, dass sie sich in der Hölle wiederfänden."
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