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Auszug
aus einem "Spiegel"- Gespräch mit Max Horkheimer über die
Zukunft der Religion
Max Horkheimer (1895-1973),
deutscher Philosoph und Soziologe.
Vertreter einer kritischen
Gesellschaftstheorie (Frankfurter Schule). |
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"Sehnsucht
nach dem Anderen"
"...
Woher wissen die denkenden
Menschen, was gut ist?
Ich habe geschrieben, dass
Politik welche nicht Theologie oder Metaphysik, damit natürlich auch
Moral, in sich bewahrt, letzten Endes Geschäft bleibt.
Gute,
moralische Politik sei also, meinen Sie, nicht ohne Theologie möglich?
Zumindest nicht ohne Gedanken
an ein Transzendentes.
Was meinen Sie damit?
Erst einmal möchte
ich über die Kritiker der Theologie sprechen, die Positivisten also,
und deutlich machen, dass sich aus er Position des Positivismus keine moralische
Politik ableiten lässt. Wissenschaftlich betrachtet, ist Hass bei
aller sozial-funktionellen Differenz nicht schlechter als Liebe. Es gibt
keine wissenschaftliche Begründung, warum ich nicht hassen soll, wenn
ich mir dadurch in der Gesellschaft keine Nachteile zuziehe. Alles, was
mit Moral zusammenhängt, geht logisch letzten Endes auf Theologie,
jedenfalls nicht auf säkulare Gründe zurück, wie sehr man
sich auch bemühen mag die Theologie behutsam zu fassen.
Also auf Gott?
Zumindest - darin gehe ich
mit Kant und Schopenhauer einig - weiß ich, dass die Welt Erscheinung
ist. Wie wir sie kennen ist sie nicht absolut sondern Ordnungsprodukt unserer
intellektuellen Funktionen. Jedenfalls ist sie nicht das Letzte.
Und was ist das Letzte?
Religion lehrt, dass es
einen allmächtigen und allgütigen Gott gibt. Ein kaum glaubhaftes
Dogma angesichts des Grauens, das seit Jahrtausenden auf dieser Erde herrscht!
Und?
Ich würde sagen, man
solle Theologie erneuern. Es ist keine Gewissheit, dass es einen allmächtigen
Gott gibt. Ja, wir können es nicht einmal glauben angesichts dieser
Welt und ihres Grauens.
Was bleibt dann?
Die Sehnsucht.
Wonach?
Sehnsucht danach, dass es
bei dem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleiben soll,
dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge. Diese Sehnsucht
gehört zum wirklich denkenden Menschen.
Also eine neue Religion?
Nein, wir können nicht
eine neue Religion gründen Mögen die alten Konfessionen weiter
existieren und wirken in .dem Eingeständnis, dass sie eine Sehnsucht
ausdrücken und nicht ein Dogma.
Glauben Sie, dass eine
solche Sehnsucht ausreicht, um moralisches Handeln zu ermöglichen,
zumal auf einem Feld wie dem der Politik? Vor sechs Jahren haben Sie in
einem Aufsatz für Ihren Freund Adorno geschrieben: "Einen unbedingten
Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel." Das führt zu der Frage: Wenn
es keinen Gott gäbe, und wenn es infolgedessen keinen unbedingten
Lebens-Sinn gäbe - worauf sollte sich dann der Moralist in der Politik
berufen können?
Auf Gott berufen? Das können
wir nicht. Zumindest ist das meine Auffassung: Wir können nicht behaupten,
es gäbe einen guten und allmächtigen Gott. Aber Sie haben ganz
recht, dann kann man sich also auch nicht auf Gott berufen. Man kann nur
handeln mit dem inneren Antrieb, möge es so sein . . .
Möge es so sein,
dass es einen guten Gott gibt?
Adorno und ich - wer von
uns beiden es zuerst formuliert hat, weiß ich heute nicht mehr -,
auf jeden Fall haben wir beide nicht mehr von Gott, sondern von der "Sehnsucht
nach dem Anderen" gesprochen.
Diese Behutsamkeit im
Umgang mit Gottes Namen ist - wie häufig festgestellt - jüdisches
Erbe.
Ja. Und zwar auch in der
Weise, dass diese Behutsamkeit in unsere Gesellschaftstheorie, die wir
die Kritische nannten, eingegangen ist. Du sollst Dir kein Bild von Gott
machen., heißt es in der Bibel. Du kannst nicht darstellen, was das
absolute Gute ist. Der fromme Jude versucht, das Wort "Gott" nach Möglichkeit
zu vermeiden, ja er schreibt es nicht aus, sondern macht ein Apostroph.
So nennt auch die Kritische Theorie das Absolute vorsichtig "das Andere".
Was mich bewegt, ist die theologische Idee angewandt auf eine vernünftige
Theorie der Gesellschaft." |