Verhältnis
von Theologie und Anthropologie
"Nicht
die Auflösung der Religion, sondern Entdeckung des wahren Wesens.
Der Vorwurf, dass nach meiner Schrift, die Religion Unsinn, Nichts, pure
Illusion sei, hätte nur dann Grund, wenn ihr zufolge auch das, worauf
ich die Religion zurückführe, was ich als ihren wahren Gegenstand
und Inhalt nachweise, der Mensch, die Anthropologie Unsinn, Nichts, pure
Illusion wäre.
Aber
weit gefehlt, dass ich der Anthropologie eine nichtige oder auch nur untergeordnete
Bedeutung gebe - eine Bedeutung, die ihr gerade nur so lange zukommt, als
über ihr und ihr entgegen eine Theologie steht - indem ich die Theologie
zur Anthropologie erniedrige, erhebe ich vielmehr die Anthropologie zur
Theologie, gleichwie das Christentum, indem es Gott zum Menschen erniedrigte,
den Menschen zu Gott machte..."
L.
Feuerbach, Vorrede zur 3. Auflage vom Wesen des Christentums, hrsg. von
A. Esser. 3. Auflage Heidelberg 1979, S. 66 |
Umkehr
von Subjekt und Prädikat
Nicht
die Eigenschaft der Gottheit, sondern die Göttlichkeit oder Gottheit
der Eigenschaft ist das erste wahre göttliche Wesen. Also das, was
der Theologie und Philosophie bisher für Gott, für das Absolute,
Wesenhafte galt, das ist nicht Gott; das aber, was ihr nicht für Gott
galt, das gerade ist Gott - d. i. die Eigenschaft, die Qualität, die
Bestimmtheit, die Wirklichkeit überhaupt. Ein wahrer Atheist, d.h.
ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher auch nur der, welchem
die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z. B. die Liebe, die
Weisheit, die Gerechtigkeit nicht sind, aber nicht der, welchem nur das
Subjekt dieser Prädikate nichts ist. Und keineswegs ist die Verneinung
des Subjekts auch notwendig zugleich die Verneinung der Prädikate
an sich selbst. Die Prädikate haben eine eigene, selbständige
Bedeutung; sie drängen durch ihren Inhalt dem Menschen ihre Anerkennung
auf; sie erweisen sich ihm unmittelbar durch sich selbst als wahr: sie
betätigen, bezeugen sich selbst. Güte, Gerechtigkeit, Weisheit
sind dadurch keine Chimären, dass die Existenz Gottes eine Chimäre,
noch dadurch Wahrheiten, dass diese eine Wahrheit ist. Der Begriff Gottes
ist abhängig vom Begriffe der Gerechtigkeit, der Güte, der Weisheit,
- ein Gott, der nicht gütig, nicht gerecht, nicht weise, ist kein
Gott - aber nicht umgekehrt.
Eine
Qualität ist nicht dadurch göttlich, dass sie Gott hat, sondern
Gott hat sie, weil sie an und für sich selbst göttlich ist, weil
Gott ohne sie ein mangelhaftes Wesen ist. Die Gerechtigkeit, die Weisheit,
überhaupt jede Bestimmung, welche die Gottheit Gottes ausmacht, wird
durch sich selbst bestimmt und erkannt, Gott aber durch die Bestimmung,
die Qualität; nur in dem Falle, dass ich Gott und die Gerechtigkeit
als dasselbe, Gott unmittelbar als die Wirklichkeit der Idee der Gerechtigkeit
oder irgendeiner anderen Qualität denke, bestimme ich Gott durch sich
selbst. Wenn aber Gott als Subjekt das Bestimmte, die Qualität, das
Prädikat aber das Bestimmende ist, so gebührt ja in Wahrheit
dem Prädikat, nicht dem Subjekt der Rang des ersten Wesens, der Rang
der Gottheit.
Erst
wenn mehrere und zwar widersprechende Eigenschaften zu einem Wesen vereinigt
werden und dieses Wesen als ein persönliches erfasst die Persönlichkeit
also besonders hervorgehoben wird, erst da vergisst man den Ursprung der
Religion, vergisst man, dass, was in der Vorstellung der Reflexion ein
vom Subjekt unterscheidbares oder abtrennbares Prädikat ist, ursprünglich
das wahre Subjekt war. So vergötterten die Römer und Griechen
Akzidenzen als Substanzen, Tugenden, Gemütszustände Affekte als
selbständige Wesen. Der Mensch insbesondere der religiöse, ist
sich das Maß aller Dinge, aller Wirklichkeit. Was nur immer dem Menschen
imponiert, was nur immer einen besonderen Eindruck auf sein Gemüt
macht - es sei auch nur ein sonderbarer unerklärlicher Schall oder
Ton - verselbständigt er als ein besonderes als ein göttliches
Wesen. Die Religion umfasst alle Gegenstände der Welt.
L.
Feuerbach Das Wesen der Religion, hrsg. von A. Esser. 3. Auflage Heidelberg
1979, S. I10 f.
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