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Paul Tillich (1886-1965), deutsch-amerikanischer evangelischer Theologe und Philosoph.
Von 1919 bis 1933 lehrte er an verschiedenen Universitäten. Wegen seiner führenden Rolle beim „Bund religiöser Sozialisten" wurde er 1933 suspendiert und emigrierte in die USA, wo er 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.
Nachdem er zunächst am Union Theological Seminary in New York unterrichtet hatte, wechselte er 1955 an die Harvard University und war seit 1962 Professor an der Universität Chicago

 
 
Ein Leben "auf der Grenze"

aus: Evangelische Zeitung

Als Paul Tillich aufgefordert wurde die Entwicklung seiner Gedanken aus seinem Leben heraus darzustellen, entdeckte er, dass der "Begriff der Grenze" geeignet ist, Symbol für seine ganz persönliche und geistige Entwicklung zu sein. "Fast auf jedem Gebiet war es mein Schicksal, zwischen zwei Möglichkeiten der Existenz zu stehen, in keiner ganz zu Hause zu sein, gegen keine eine endgültige Entscheidung zu treffen."
1962, im Jahr seiner Pensionierung, erhielt Tillich den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Im gleichen Jahr erschien in Deutschland sein autobiographisches Buch mit verschiedenen Texten und dem Haupt-Titel "Auf der Grenze", der 1936 als On the Boundary" in den USA veröffentlicht worden war.
Paul Tillich wurde am 20. August 1886 im Pfarrhaus von Starzeddel, einem Dorf im Bezirk Guben in der Nähe von Berlin, geboren. Das Dorf gehört heute zu Polen und heißt Starosiedle, was so viel bedeutet wie "alte Heimstätte'. Er studierte Theologie und Philosophie, erst in Berlin, später in Halle und Tübingen.
Im Studium löste er sich von dem konfessionell-lutherischen Glauben seiner Kindheit. Während seiner Zeit als Feldprediger soll er regelmäßig seine Bibel, vor allem die Propheten, gelesen haben, aber auch Marx und Nietzsche. Als Sozialist kam Tillich 1918 nach Berlin zurück. Von 1920 bis 1924 war er Redakteur der "Blätter für religiösen Sozialismus".
In diesem Jahr starb seine Schwester Johanna, trennte er sich von seiner Frau Margarethe und vermählte sich mit Hannah Werner-Gottschow. "Tillich war überzeugt", schreiben die Biographen Wilhelm und Marion Pauck, "daß Hannah die Antwort war auf sein problematisches Verhältnis zu Frauen und deren Platz in seinem Leben."
Über die Liebe schrieb Paul Tillich: "Erfüllte Liebe ist höchstes Glück und zugleich das Ende des Glücks. Die Trennung ist überwunden, aber ohne Trennung gibt es keine Liebe und kein Leben." Die Ehe Tillichs habe nie besonders gut funktioniert, berichtet das Biographenpaar Pauck.
1924 und 1925 war Tillich Professor in Marburg. Dort begegnete er Rudolf Bultmann und Martin Heidegger. In den Jahren 1925 bis 1929 war er Professor für Philosophie in Dresden. Danach bis 1933 wieder Professor für Philosophie, aber diesmal in Frankfurt am Main als Nachfolger von Max Scheler.

In keiner Beziehung war für Tillich die Situation der Grenze offenkundiger als auf der Grenze von Theologie und Philosophie. Philosoph zu werden, war sein Wunsch seit seinen Gymnasialjahren. Jede freie Stunde benutzte er, um philosophische Bücher zu lesen, die ihm zufällig in die Hand fielen.

Lange Diskussionen mit dem Vater

Diskussionen mit seinem Vater, der in der theologischen Prüfungskommission Philosophie prüfte, gaben ihm die Möglichkeit, vom ersten Semester an, nächtliche Erörterungen über Idealismus und Realismus, Freiheit und Notwendigkeit, Gott und Welt" erfolgreich abzuschließen.
Als Professor in Frankfurt schrieb Paul Tillich das Buch "Die sozialistische Entscheidung", eine der ersten gründlichen Kritiken des aufkommenden Nationalsozialismus, ein Buch, das unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers eingestampft wurde. In den Dogmatik-Seminaren in Marburg hatte Tillich erste Hand an das gelegt, was später die "Systematische Theologie" werden sollte.
Am 13. April 1933 wurde Tillich vom Amt suspendiert. Am 3. November kam er in New York an. Von diesem Augenblick an stand Tillich außerhalb des europäischen Horizonts. Erst viele Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde seine Stimme in Europa wieder gehört. In den Jahren 1933 bis 1955 arbeitete er am Union Theological Seminary in New York, seit 1955 war er Universitäts- Professor an der berühmten Harvard-University. Am 22. Oktober 1965 verstarb er in Chicago im Alter von 80 Jahren.
Wer sich in Tillichs Schriften, etwa der "Systematischen Theologie", selbst informieren will, stößt vermutlich zuerst einmal auf das Problem seiner Sprache. In einem Kapitel seiner Schrift "Die verlorene Dimension" sagt Paul Tillich über die Sprache der Religion: "ln Europa wie in Amerika ist heute eine heftige Diskussion über die Bedeutung der Symbole im Gange. Sie ist ein Symptom dafür, dass wir in der Theologie, in der Philosophie und in den ihnen verwandten Wissenschaftsgebieten in eine Sprachverwirrung geraten sind, die bisher in der Geschichte kaum erreicht wurde. Die Worte vermitteln uns nicht mehr den Sinn, den sie ursprünglich hatten und den sie uns übermitteln sollen."

Sprache beschreibt und schafft Wirklichkeit

Tillich hat uns wieder gelehrt, dass die Sprache Anteil hat an den verschiedenen Dimensionen der Wirklichkeit. Dazu ein Beispiel aus "Die verlorene Dimension": Tillich betrachtet den Satz "Gott hat uns seinen Sohn gesandt". Das Wort "hat" impliziert Zeitlichkeit. Gott aber ist über unserer Zeitlichkeit, obwohl er nicht über jeder Zeitlichkeit ist. Der Satz enthält für Tillich auch eine "Metapher des Raumes": "Jemanden senden" heißt, ihn von einem Ort zum anderen bewegen. Sagt man weiter "er hat gesandt", so bedeutet das, wörtlich genommen, dass er etwas verursacht hat.
Und Tillich wörtlich: "Gott ist damit der Kategorie der Kausalität unterworfen. Und wenn wir schließlich von 'ihm und seinem Sohn' reden, so sprechen wir damit von zwei verschiedenen Substanzen und wenden damit die Kategorie der Substanz auf ihn an."
Das ist für Tillich alles sinnlos, wenn wir es wörtlich fassen! Symbolisch genommen ist es für ihn die letzte christliche Ausdruckweise, etwas über die Beziehung zwischen Gott und Mensch in der christlichen Erfahrung auszusagen.
"Wenn es uns gelingt, den heutigen Menschen klarzumachen", sagt Tillich, "daß wir symbolisch sprechen, wenn wir die angegebenen Ausdrücke benutzen, werden sie uns mit Recht ablehnen als Menschen, die noch in abergläubischen und absurden Vorstellungen leben."

Der Symbolbegriff Tillichs gehört zu den Fundamenten seiner Theologie. Doch wir können an dieser Stelle nur einige Schneisen in diesen Begriffswald schlagen. Kritiker Tillichs meinen, er würde mit seinem Symbolbegriff die reale Wirklichkeit zur bloßen Bedeutung verflüchtigen. Denn das Symbol sei in jedem Fall weniger als die buchstäbliche Aussage.

Trifft aber nicht genau das Gegenteil zu? Peter Kreyssig antwortet in einer Gedenkrede, die er 1966 vor der Stuttgarter Gruppe der International Christian Leadership gehalten hat: "Das Wort Symbol hat (für Tillich) in Wahrheit einen größeren Anteil an der gemeinten Wirklichkeit als das buchstäblich verstandene Wort. Denn es handelt sich um eine Wirklichkeit, die alle begrifflichen Möglichkeiten überschreitet." Für Tillich hat das Symbol einen umfassenderen Anteil an dieser Wirklichkeit als das begriffliche Zeichen.

Wer diese Grenze der Sprache nicht wahrhaben will, zwinge, so Kreyssig weiter, durch das buchstäbliche Verständnis Gott in Kategorien, die seine Wirklichkeit entstellen und verzerren. Er verfalle damit dem Aberglauben. Tillichs Verdienst ist der deutliche Hinweis auf eine "theologische Sprachverwirrung", in der Aussagen von buchstäblicher Bedeutung, von symbolischem Charakter und von poetisch-bildhafter Art unterschiedslos neben- und durcheinanderlaufen.

Tillich deutet Symbole in rationalen Begriffen

Symbole erschließen den Zugang zu einer Wirklichkeit, die durch rationale Begriffe allein nicht erschlossen werden kann. Tillich kann aber Symbole in rationalen Begriffen deuten. Diese Deutung kann das Symbol nicht ersetzen. Sie ist vielmehr Antwort in den zeitgeschichtlich bedingten Kategorien des Verstehens und des persönlichen Ergriffenseins von der Wahrheit, auf die ein solches Symbol hinweist.
Diese Wechselwirkung, die Korrelation, wie Tillich sie nennt, ist der Begriff, der seine Methode des Denkens bezeichnet, die Methode der Korrelation.
Von dem Vielen, das Paul Tillich im Laufe seines langen Lebens geschrieben hat, ist die "Systematische Theologie" in drei Bänden das bei weitem Gewichtigste. Im Vorwort des dritten Band,es sagt Tillich:
"Ein besonderes Charakteristikum dieser drei Bände, das oft beobachtet und oft kritisiert wurde, ist die in ihnen angewandte Sprache und die Art, in der sie gebraucht wird. Sie weicht von der üblichen Art ab, nämlich bestimmte Behauptungen durch geeignete Bibelzitate zu belegen. Stattdessen habe ich die philosophische und psychologische Terminologie bevorzugt und gelegentlich soziologische und naturwissenschaftliche Theorien herangezogen."
Diese Worte verdeutlichen, dass Tillich den Nachlas Schleiermachers angetreten hat mit einer Frage, die wir von Rudolf Bultmann kennen: Ist es möglich, zu glauben und zugleich im 20. Jahrhundert und seiner Kultur zu leben, ohne dass das eine dem anderen im Wege steht?
In der Methode der Korrelation liegt das Geheimnis des universalen Denkens von Paul Tillich. Alle Wirklichkeit dieser Welt, ob sie in Wissenschaft, Kunst, Politik, Psychologie oder Ästhetik beschrieben ist, ist notwendig Gegenstand dieser Methode. Christlicher Glaube lebt für Paul Tillich nur im Dialog mit den anthropologischen Wissenschaften und vor allem mit der Philosophie, damit christlicher Glaube nicht zu einer zeitlosen Beschäftigung entartet.

Erich Franz
 

Literaturhinweise:
 

Paul Tillich: Systematische Theologie. Band I (1951), Band II (19S7), Band III (1963).
Wilhelm und Marlon Pauck: Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Evangelisches Verlagswerk Stuttgart, 1978.
Werk und Wirken Paul Tillichs: Ein Gedenkbuch. Mit der letzten Rede von Paul Tillich, Ev. Verlagswerk Stuttgart, 1967.
Paul Tillich: Auf der Grenze. Aus dem Lebenswerk Paul Tillichs, Ev. Verlagswerk Stuttgart, 1962.


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