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Rudolf Bultmann - 
Seine "Entmythologisierung" ist umstritten bis heute

Rudolf Bultmann Die Kirche darf nichts von ihrer Verkündigung preisgeben, die auch das Volksbewusstsein unter die Kritik des Wortes Gottes stellt. Lehnt sich das Volksbewusstsein gegen diese Kritik auf, so ist es das Bewusstsein eines unchristlichen Volkes, das seine Begrenzung durch Gott vergessen hat."
So schrieb der Marburger Professor für Neues Testament Rudolf Bultmann im Dezember 1933 in einer Stellungnahme zum "Arierparagraphen", der Theologen "nichtarischer" Herkunft vom geistlichen Amt ausgeschlossen wissen wollte. An einem Gutachten der theologischen Fakultät Marburg, das diesen Paragraphen einer deutlichen und ablehnenden Kritik unterzog, hatte Bultmann maßgeblich mitgewirkt.

Schon zu Beginn seiner Vorlesung im Sommersemester 1933 hatte er sich vor den Studenten gegen eine Diskriminierung der jüdischen Mitbürger gewandt, wie er auch später für jüdische Kollegen eingetreten ist.

Ganz eindeutig war bei seiner Ablehnung der "Deutschen Christen" und des Nationalsozialismus überhaupt der Platz von Rudolf Bultmann in der "Bekennenden Kirche". Nicht nur als Theologieprofessor, sondern auch als Prediger, Kirchenältester und zeitweise als Religionslehrer wusste er sich in den Dienst seiner Kirche gestellt. Ausgerechnet diesem Theologen wurde später vorgeworfen, er zerstöre die Grundlagen der evangelischen Kirche und ihrer Bekenntnisse. Er erfuhr leidenschaftlichen Widerspruch nicht nur von theologischen Fachkollegen, sondern auch von frommen Gemeinschaftskreisen, Synoden und Bischofskonferenzen. Hauptanlass war ein von Bultmann im Jahre 1941 gehaltener Vortrag unter der Überschrift "Neues Testament und Mythologie", in dem er eine "Entmythologisierung" der christlichen Verkündigung forderte und einen eigenen Programmvorschlag vorlegte.
 

Geprägt vor allem durch die liberale Theologie
Wer also war Rudolf Bultmann? Geboren 1884, war er aufgewachsen in einem Pfarrhaus in der Nähe von Oldenburg. Er studierte evangelische Theologie in Tübingen, Berlin und Marburg. Von 1921 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1951 lehrte er in Marburg als Professor für Neues Testament. In Marburg ist Bultmann auch im Jahre 1976 gestorben.

Zweifellos ist Rudolf Bultmann vor allem durch die liberale Theologie geprägt worden. Von ihr lernte er die Methode strenger historisch-kritischer Auslegung biblischer Texte, welche er selber zeitlebens meisterhaft ausgeübt hat. Und gerade diese Methode historischer Kritik führte Bultmann über die liberale Theologie hinaus. Die liberale Theologie war ja vor allem interessiert an einer "Persönlichkeit" Jesu als Kraftquelle für echte Religion, Frömmigkeit und Sittlichkeit. Diese vom altkirchlichen Dogma befreite "Persönlichkeit" Jesu sollte auf dem Wege historischer Forschung immer klarer herausgestellt werden.

Aber Bultmann entdeckte bei seinen Forschungen an Texten des Neuen Testaments daß diese Texte das nicht hergaben. Ob Paulus, Johannes oder auch die ersten drei Evangelien - die Texte des Neuen Testaments waren an einer "Persönlichkeit" Jesu ebenso wenig interessiert wie an einer von Jesus gelehrten Frömmigkeit und Sittlichkeit. Die Mitte dieser Texte war die Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus als gegenwärtigem Herrn.

Von hier aus gelangte Bultmann zu einem neuen Verständnis dieser Verkündigung als "Wort Gottes" und gewann Anschluss an die "dialektische Theologie" von Karl Barth, Friedrich Gogarten und Emil Brunner. Mit ihnen betont auch Bultmann den Vorrang des Wortes Gottes vor menschlicher Frömmigkeit und Religion.

Wort Gottes heißt ja: In der Verkündigung von Jesus Christus, die selbstverständlich an das biblische Zeugnis gebunden ist, wird uns Menschen etwas gesagt, was wir uns selbst nicht sagen können. Darum widersprach Bultmann entschieden der liberalen Theologie und derjenigen der "Deutschen Christen", weil bei beiden menschliche Frömmigkeit und Religion ungebührlich im Mittelpunkt standen.

Freilich trifft der Widerspruch auch eine konservative Theologie, soweit sie den Glauben an das Wort Gottes mit dem Fürwahrhalten von "Heilstatsachen" verwechselt und sich gegen die historische Kritik abschirmt. Wort Gottes ist aber mehr als der Bericht von "Heilstatsachen".

In der Verkündigung von Jesus Christus spricht das Wort Gottes als Anrede und Zuspruch in unsere menschliche Existenz hinein. Darum aber ist auch der Glaube mehr als das Fürwahrhalten von Heilstatsachen. Glauben heißt dann, dass wir Menschen uns diesen Zuspruch des Wortes Gottes gesagt sein lassen.
 

Zum Glauben gehört auch das Verstehen
Hier aber stieß Bultmann auf ein Problem, das er bei Karl Barth vernachlässigt sah. Zum Glauben gehört das Verstehen. Das Wort Gottes mutet uns Menschen zu, von seinem Zuspruch her zu leben. Eine Zumutung und einen Zuspruch müssen wir aber verstehen können. Ein Wort einer Fremdsprache, die wir nicht verstehen, kann weder Zuspruch noch Zumutung sein. Eine solche Fremdsprache sind aber für den modernen Menschen Sprache und Vorstellungswelt der Bibel. Aus dieser Sprache kann er nicht heraushören, daß es um seine eigene Existenz geht. Von daher nun kam es für Bultmann zum Programm einer "Entmythologisierung".

Die Sprache der Bibel und gerade des Neuen Testaments ist die Sprache des Mythos. Dazu gehört das antike Weltbild, die Vorstellung der Welt mit den drei Stockwerken Himmel, Erde und Hölle und auch die Vorstellung, dass übernatürliche Kräfte in den Lauf der Dinge eingreifen. Ebenfalls mythologisch sind die Aussagen von der Wiederkunft Jesu Christi als des Menschensohnes sowie über Höllen- und Himmelfahrt. Unverständlich für den modernen Menschen sind daher die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Kreuzestod und von der Auferstehung.

Es wäre nun aber kein Ausweg, diese "mythologischen" Aussagen des Neuen Testaments zu streichen. Im Gegenteil kommt es für Bultmann darauf an, sie in ihrer eigentlichen Absicht zu verstehen und sie so auszulegen dass der Mensch unserer Zeit diese Aussagen als ihn betreffend hören und verstehen kann.

Eine Hilfe fand er in der frühen Philosophie Martin Heideggers in seinem Buch "Sein und Zeit". Keinesfalls hat Bultmann die eigentliche Philosophie Heideggers übernommen. Aber er fand dort eine neutrale Beschreibung der Existenz des Menschen, auf die sich die christliche Verkündigung beziehen ließ.

Es ist der Mensch, der immer wieder vor der Entscheidung steht, sich selber zu gewinnen oder zu verlieren, indem er sich an die "Welt" verliert. Hier kann nach Bultmanns Meinung die christliche Verkündigung anknüpfen, indem sie von der christlichen Botschaft her sagt, was es heißt, sich zu gewinnen und zu verlieren.
 

Im Glauben gewinnt der Mensch sich selbst
Im Glauben gewinnt der Mensch sich selbst, indem er sich durch das Hören auf das Wort Gottes seine Existenz neu schenken lässt. Im Unglauben verliert der Mensch sich selbst, wenn er sich selbst zu verwirklichen sucht und sich in der Welt absichern will. Von daher ergeben sich bei Bultmann neue Schwerpunkte innerhalb des Neuen Testaments. Die Verkündigung des Gekreuzigten Jesus Christus hat Vorrang vor dem "historischen" Jesus, von dem nur das "Dass" theologisch wichtig ist. Das Kreuz hat aber auch Vorrang vor der Auferstehung, welche die Botschaft vom Gekreuzigten in Kraft setzt. Die verheißene Heilszukunft ereignet sich nicht erst jenseits des Todes, sondern schon jetzt im Augenblick des Glaubens.

Innerhalb des Neuen Testamentes sind es vor allem die Aussagen des Paulus und des Johannesevangeliums, in denen die Beziehung des Christusgeschehens auf die Existenz des Menschen besonders deutlich hervortritt. Hiervon hat Bultmann den Maßstab einer Sachkritik an anderen biblischen Aussagen gewonnen.

Die Diskussion dieses theologischen Ansatzes hat auch zwanzig Jahre nach dem Tode Rudolf Bultmanns noch -kein Ende gefunden. Kritikpunkte sind nach wie vor sein Verständnis des Mythos, seine Anknüpfung an die Philosophie Heideggers sowie auch seine Aussagen über den historischen Jesus und die Vernachlässigung des Alten Testamentes.

Karl Barth hat vor allem immer wieder auf ein Übergewicht der Anthropologie (Lehre vom Menschen) vor der Christologie (Lehre von Jesus Christus) bei Bultmann hingewiesen, das dieser doch einst der liberalen Theologie vorgeworfen hatte.

Jedes theologische Konzept ist als menschliches Konzept ein überholbares Modell. Auch Rudolf Bultmann hat dies gewusst. Von der "Entmythologisierung" schreibt er: "Sie ist eine schwere und umfassende Aufgabe, die überhaupt nicht einem Einzelnen obliegen kann, sondern von einer theologischen Generation eine Fülle von Zeit und Kraft fordert."

 Dass er aber diese Aufgabe so zu Bewusstsein gebracht hat, dafür sind Kirche und Theologie Rudolf Bultmann zu bleibendem Dank verpflichtet.



Walter Lindemann