Christologie -  Christologie in der Geschichte
 
«Christologie» ist die Lehre von der Person Jesu Christi und von seiner Bedeutung für die Christen: Sie gründet im Bekenntnis von Jesus als dem Gottessohn, seiner Inkarnation (Menschwerdung), seinem Leiden (Passion), seiner Auferstehung und einstigen Wiederkunft (Parousie). 

Das wichtigste Anliegen der Christologie ist es, Jesus als Mensch und gleichzeitig als «Gott für uns» zu beschreiben. Das Verhältnis des Gottessohnes zum Vatergott will die Trinitätslehre erklären. In der Christologie im engeren Sinn geht es hingegen um das Verständnis Christi als «gottmenschlicher» Person. Die eigentliche theologische Bedeutung der Christologie und ihr Interesse an der «Wahrung der Menschheit und der Gottheit Jesu» ist es, Aussagen zu machen über die Natur des Menschen, seine Verlorenheit und Schuld sowie seine Erlösungsbedürftigkeit.
 

1.
Die außerkanonischen Zeugnisse  über die Entwicklung der Christologie ab dem Ende des ersten Jahrhunderts beginnen mit den sogenannten apostolischen Vätern. Das wichtigste Prädikat, das sie auf Jesus Christus beziehen, ist der Kyrios-Titel (Kyrios = Herr). Genauso nennen die «Heiden» ihren Kultheros und die Römer ihren Kaiser. Der Kyrios rückt in die unmittelbare Nähe Gottes. 

Ignatius (gest. um 110) beschreibt Jesus Christus als Sohn Gottes, der einst auf der Erde wandelte und jetzt im Himmel thront. Der geschichtliche und der erhöhte Herr sind ein und derselbe. Jesus offenbart den Vater, deshalb ist er sein «Logos», d.h. Gottes Wort und Wille, sein «Mund». Er ist gleichzeitig leiblich, menschlich und welthaft, das heißt «geschaffen», und dennoch geistig, das heißt über alles Welthafte m die Ewigkeit hineinragend, ein «ewiges Ich»: Eine Art himmlisches Geistwesen, das ganz zu Gott gehört, ist in Jesus Christus erschienen. Diese «Geistchristologie» war die maßgebliche Christusauffassung in der frühesten nachbiblischen Zeit. Daneben gab es auch die Anschauung, Jesus sei ein Mensch gewesen, der sich besonders bewährte; deshalb habe ihn Gott, als Lohn für seine Treue und seinen Gehorsam, sozusagen «adoptiert» und in die Herrschaft eingesetzt.
 

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Nach der Mitte des 2. Jahrhunderts setzten sich die frühkirchlichen Apologeten (Verteidiger des Christentums) mit dem nichtchristlichen Kulturerbe ihrer Zeit auseinander. Sie gelten als die eigentlichen Begründer einer kirchlich-wissenschaftlichen Theologie, die die Grundlage für den bedeutungsvollen Bund zwischen christlicher und griechischphilosophischer Tradition schufen. Ihnen erschien Jesus von Nazareth als der «Logos», der weit über das irdische Leben zurückweist in die «Praeexistenz»: ins Vorweltliche. 
An die Stelle der «Geistchristologie» trat eine «Logoschristologie». Der Logosbegriff war zu dieser Zeit allgemein geläufig. Er bezeichnete die göttliche Vernunft, die den Kosmos durchdringt, oder die Gestalt und Macht, durch die das Göttliche in die Welt hineinwirkt. Der Begriff war wie ein Schwamm, der alle möglichen religiösen Vorstellungen aus dem griechisch-philosophischen, aber auch orientalisch-mythologischen Religionsumfeld aufsog. Der Logos war das «Wort» oder die «Vernunft» Gottes, die bei der Schöpfung der Welt freigesetzt wurde. Gott ist ursprungslos, der Logos hingegen durch Zeugung entstanden. Der Vater ist der unbewegliche, ewige Gott; der Sohn tritt in die Welt hinein und zeigt sich den Menschen. Der Vater, Schöpfer des Alls, verlässt seinen Himmel nicht und redet auch nicht mit den Menschen. Dazu hat er seinen Mittler, den Logos, der schon zu den Vätern und Propheten des Alten Testaments sprach.

Die Apologeten entwickelten auch die Auffassung, dass schon vor dem Christentum und außerhalb seiner Grenzen bedeutsame Einsichten gewonnen wurden und noch gewonnen werden können. Denn «Sperma des Logos», Samenkörner der Vernunft, wurden überall ausgestreut und eingesenkt, so dass auch einige heidnische Dichter und Denker gleichsam zu Christen vor Christus werden konnten. (Absolutheitsanspruch des Christentums)

Im Laufe der Zeit wurde die Frage des Verhältnisses von Gott-Vater zum Logos-Sohn immer dringlicher. Beide galten als zusammengehörig, sozusagen als Einheit. Aber ging damit nicht die Besonderheit eines jeden einzelnen verloren? Tertullian, Katechet aus Karthago und erster lateinisch schreibender Theologe, erklärte, dass Vater und Sohn in der Substanz, dem göttlichen Sein und Wesen, zusammengehörten, dass sie aber als Personen voneinander getrennt seien. Vater, Sohn und Geist sind drei Personen, aber eine Substanz. Der Vater hat durch den Logos die Welt erschaffen; der Logos hat sich im «alten Bund» offenbart, ist Fleisch geworden, gestorben, auferstanden und sitzt nun zur Rechten des Vaters. Den Geist sendet der erhöhte Herr zu den Seinen. Mit dieser Lehre war Origenes (gest. 254), ein streitbarer theologischer Lehrer und textkritischer Ausleger biblischer Schriften, nicht einverstanden. Der Sohn dürfe dem Vater nicht untergeordnet sein. Folglich ist der Sohn nicht Teil des Vaters, und er ist auch nicht zu irgendeinem Zeitpunkt entstanden. In Gott ist alles ewig, auch die Zeugung. Von Ewigkeit zu Ewigkeit zeugt der Vater den Sohn. Erst unter dieser Voraussetzung, meint Origenes, ist der Logos ganz göttlich und gleichzeitig, als Gezeugter, ganz von Gott geschieden.
Welche Konsequenzen hat diese Annahme für die Person Jesu, für sein «Innenleben»? In ihm vereinigen sich zwei «Naturen», die göttliche mit der menschlichen, «damit die menschliche durch enge Verbindung mit der Gottheit selbst göttlich werde» (Origenes).
 

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Zu Beginn des 4.Jahrhunderts wurden die grundlegenden kirchlichen Lehrbestimmungen bezüglich des Logos und der Trinität fixiert. Dabei war die Auseinandersetzung mit dem alexandrinischen Priester Arius (gest. 336) von grundlegender Bedeutung. Arius erklärte, die Besonderheit Gottes sei seine «Ungeschaffenheit». Gott sei ungezeugt, anfangslos und ewig: «allein wahr, allein unsterblich, allein weise, allein gut, allein Herr, allein Richter aller». Alles andere ist von ihm geschaffen, das heißt aus dem Nichts ins Dasein gerufen, nicht aber aus Gott hervorgegangen. Damit rückt der Sohn in die Reihe der Kreaturen, wenn auch an eine bevorzugte Stelle. Der strenge Monotheismus  (Eingottglaube)  des Arius verlangt,  dass zwischen dem Vater auf der einen Seite und dem Sohn und dem Geist auf der anderen Seite eine unendliche Distanz aufrechterhalten bleibt. Arius fand mit seiner Lehre viel Resonanz im Kirchenvolk. Eine Synode in Alexandrien belegte ihn daraufhin mit dem Bann.

Das Konzil von Nicaea, das 325 zusammentrat, sollte den Streit ausräumen. Den Vorsitz der Reichssynode führte Konstantin der Große, der als erster Kaiser Christ geworden war. Ihm lag nichts an religiösen Streitigkeiten und an, seiner Meinung nach, unnützem Theologengezänk. Sein eigentliches   Interesse  bestand  darin, ein Auseinanderbrechen der Kirche zu   verhindern.   Die   Kirche   stellte nämlich in seinem Imperium bereits einen bemerkenswerten Machtfaktor dar; ihr war die Aufgabe zugedacht, die Sittenlosigkeit der Bevölkerung zu beheben und überhaupt für Zucht und  Ordnung  zu  sorgen.  Deshalb war es das Anliegen des Kaisers, daß sich die Theologen einigten. Er als «Stellvertreter Christi» ließ sich das Recht nicht nehmen, die einigenden christlichen Formeln vorzuschlagen. Die Bischöfe, die wie hohe Beamte auf Staatskosten zur kaiserlichen Residenz angereist waren, hatten zuzustimmen. Dreihundert Jahre blutiger Christenverfolgung waren vergessen, als der Kaiser den Gläubigen diktierte, was sie für wahr zu halten hätten. Die Bischöfe folgten den Wünschen des Kaisers in der Hoffnung, mit seiner Gunst noch höher aufsteigen zu können. Diejenigen, die ihre Unterschrift verweigerten (Arius und zwei seiner Freunde), wurden abgesetzt und verbannt. Als «allgegenwärtiger Gott» (deus praesentissimus) ließ sich der Kaiser verabschieden.

Das Nicaenische Glaubensbekenntnis bezeichnet Jesus Christus als «aus dem Sein des Vaters» stammend, als «wahrer Gott vom wahren  Gott», «gezeugt, nicht geschaffen» und als «wesenseins mit dem Vater». Mühsam und auf großen Umwegen musste die Kirche in der Folgezeit erst verstehen lernen, was sie in diesen Formeln denn eigentlich gemeint und beschlossen hatte. Der Kampf um die rechte christologische  Lehre war nämlich keineswegs    ausgekämpft. Gewaltakte und Verbannungen erschienen fortan als geeignete Mittel zur Klärung des Problems. Um winziger Nuancen willen «kündigte man sich  die  brüderliche  Gemeinschaft und sind Tausende geschmäht, in Ketten gelegt und hingemordet worden. Es ist eine schaurige Geschichte. Auf dem Boden der <Christologie> haben die Menschen ihre religiösen Lehren zu phantastischen Waffen geschmiedet und Furcht und Schrecken verbreitet. Diese Haltung dauert noch immer fort, die Christologie wird behandelt, als böte das Evangelium keine andere Frage, und der Fanatismus, der sie begleitet, ist auch heute noch  lebendig.» 
Athanasius (gest. 373), Bischof von Alexandrien, wurde der gewichtigste Streiter für das Credo (Bekenntnis) von Nicaea: Die Gottheit des Vaters ist die des Sohnes. Eine unteilbare Substanz umschließt beide. Der Sohn verhält sich zum Vater wie der Glanz zum Licht. Dennoch ist der Vater nicht der Sohn und der Sohn nicht der Vater. Der Vater ist der Anfang, der Sohn das Geschaffene. Es gibt demnach eine Substanz in drei Seinsweisen.
 

4.
Nach der Klärung des «innergöttlichen» Verhältnisses von Vater, Sohn und Geist stand die Frage an, wie sich das Göttliche und das Menschliche in Jesus selbst zueinander verhalten. «Neben die die Geister noch völlig in Atem haltende und aufs tiefste erregende Frage, ob der Satz von der wahren, ungeminderten Gottheit des Logos zu Recht bestehen solle, tritt, nicht weniger bewegend und aufwühlend, die andere, was es denn um das Menschsein des Erlösers sei, und wie man über die in ihm Ereignis gewordene Verbindung von Gottheit und Menschheit zu lehren habe.» 
Das Glaubensbekenntnis von Nicaea stand als Grundlage für diese weiterführende Frage nach der Person Jesu Christi zur Verfügung.

Verbinden sich in ihm zwei selbständige und in sich vollendete Naturen zur Einheit, oder bricht er in zwei Personen, eine natürliche und eine «adoptierte», eine anzubetende und eine rein menschliche, auseinander? Wie ist die Einheit aus «Fleisch» und «Geist» zu denken? Beziehen sich Geburt und Sterben des Kyrios nur auf die menschliche oder auch auf die göttliche Natur Jesu? Wenn nur das Fleisch litt und ein bloßer Mensch am Kreuz starb, so kann dieses Sterben doch nicht heilskräftig sein. Das Bekenntnis der Synode von Chalcedon (451) schließt die altkirchliche Christologie ab: «Wir bekennen einen und denselben Christus, der in zwei Naturen unvermischt und un-verwandelt, (aber auch) ungeschieden und ungetrennt besteht.» Auch das Bekenntnis von Chalcedon hat die einander widerstreitenden theologischen Meinungen nicht zur Ruhe kommen lassen.

Während die klassische Christologie auf der Anschauung begründet war, nur die göttliche Natur in Jesus Christus könne dem Menschen die Teilhabe an Gott verbürgen («Er [Gott] ist Mensch geworden, damit wir vergottet würden.» Athanasius), rückte die Theologie des Mittelalters das Problem der Schuld und der Vergebung der Sünden in den Mittelpunkt. «Cur Deus Homo» («Warum ist Gott Mensch geworden»), fragte Anselm von Canterbury (1033-1109). Er erklärte, dass Gott selbst Mensch werden und am Kreuz Genugtuung (satisfactio) leisten musste, um seine durch die Sünde des Menschen verletzte Ehre wiederherzustellen. Das Opfer des Gottessohnes allein sühnt die menschliche Schuld. Für Luther (1483-1546) war schon die Menschwerdung Gottes in Jesus ein Akt göttlicher Selbstkreuzigung. Gott habe sich «ins Fleisch verhüllt», um sich gerade dadurch zu offenbaren. In Tod und Auferstehung Jesu gewinnt der Mensch Anteil an der Majestät Gottes.

Im Gefolge der Aufklärung wurden die christologischen Vorstellungen von Jungfrauengehurt, Auferstehung und Himmelfahrt als zeitgebundene Mythen erkannt. Theologie und Verkündigung versuchten jetzt, die Bedeutung des Jesus von Nazareth als Modellfall des «Menschen für andere» zu beschreiben. Die Bindung an ihn ermögliche den Gläubigen «wahre Menschlichkeit»; Orientierung an Jesus bedeute Praxis eines «wahrhaft radikalen Humanismus».
 
 

(Jugendlexikon Religion)

Christologie - Wikipedia

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