Ist die Berpredigt vernünftig?

Text  - Schüleräußerungen

R. Mokrosch
Ist die Bergpredigt vernünftig?

"...Die Bergpredigt widerspricht unserem Alltagsverhalten. 
Sie ist kontrafaktisch, kontrarational, kontranatural, kontraliberal und kontramoralisch konzipiert. Ihre Ethik ist eine Kontrastethik zu unserem Alltagsethos.

Das Erstaunliche ist nun aber, dass die Bergpredigt trotz dieser Kontrafaktizität immer wieder Menschen fasziniert und bewogen hat, sich um ihre Einhaltung zu bemühen. Sie schlug und schlägt immer wieder Menschen in ihren Bann ... Und zwar Christen und Nichtchristen, Bekannte und Unbekannte. Es sind keineswegs nur die Gandhis, Bon-hoeffers, M. L. Kings und jüngst DDR-Revolutionäre gewesen, die bis in den Alltag hinein ihr Leben wider alle Vernunft und Realität an der Bergpredigt ausgerichtet haben. Es sind auch keineswegs nur Quäker, Mennoniten und Pietisten gewesen, die nicht schwörten, nicht vorsorgten, auf Gewalt verzichteten und für ihre Verfolger beteten. Sondern es waren und sind unzählige unbekannte Christen und Nichtchristen, die im Alltag auf Vergeltung und Rache verzichten, ohne Zorn, Wut und Aggression auszukommen versuchen, keinen Mann und keine Frau besitzergreifend anblicken, sich trotz Not nicht um morgen zu sorgen und nicht richten und verurteilen. 

Was mag sie an der Bergpredigt so fasziniert haben, dass sie deren Leitsätze für vernünftig hielten und zum Grundgesetz ihres Lebens machten? Die Gründe sind verschieden: Die einen waren von der einfachen Logik der Forderungen Jesu (z.B. der Goldenen Regel) so begeistert, dass sie danach leben wollten. Die anderen gaben die Liebe, die sie von Gott empfangen zu haben glaubten, weiter. Andere wurden von Vorbildern der Gewaltlosigkeit inspiriert. Und noch andere waren so demütig, dass sie kein Recht auf Gegengewalt für sich beanspruchten. Selten ist ein Erfolg ihrer Gewaltlosigkeit, sondern meistens die Faszination von der Bergpredigt trotz ihrer Erfolglosigkeit ihr Motiv gewesen. Kurz: Sie hielten aus rein subjektiven Gründen die Bergpredigt für vernünftig…

Mahatma Gandhi, der hinduistische Freiheitskämpfer, hatte 1929 … bekannt: »Es ist die Bergpredigt, die mich Jesus lieb gewinnen ließ«…, weil sie, - wie er sagte, in dreifacher Hinsicht vernünftig sei: Sie habe die Freiheit des anderen im Auge, empfehle dem Geschädigten, sich nicht zur Rache zwingen zu lassen und fordere den Angegriffenen auf, den Gegner als freien Partner zu gewinnen. Aber das alles sei nur vernünftig, wenn man an die universale Kraft der Gewaltlosigkeit glaube. Gandhi hielt die Bergpredigt nur unter Glaubensvorstellungen, d. h. aus subjektiven Gründen für vernünftig. 

Für Dietrich Bonhoeffer war die Bergpredigt nur im Rahmen einer Nachfolge Jesu vernünftig. »Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann... Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus ... einem Leben nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi«, bekannte er 1935 gegen den NS-Terror. Und seine Finkenwalder Vorlesungen zur "Nachfolge" schloss er mit der Überzeugung: »Die Bergpredigt ist kein Wort, mit dem man hantieren könnte: hier geht es nicht, da geht es nicht, dort gibt es Konflikte. Dieses Wort ist tragfähig nur, wo gehorcht wird.« Es ist praktizierbar nur in der Nach-folge. Nur unter Glaubens-, d. h. subjektiven Bedingungen hielt Bonhoeffer die Bergpredigt für vernünftig. Aber er hielt sie eben für die einzige Ethik, die dem NS-Regime zu widerstehen vermö-ge. 

Martin Luther King erklärte sie ebenfalls zur Überlebensethik, als er 1956 bekannte: »Der Befehl, unsere Feinde zu lieben, ist... eine unbedingte Notwendigkeit für unser Überleben. Die Liebe auch zu unserem Feind ist der Schlüssel, mit dem sich die Probleme der Welt lösen lassen.« Er beschrieb gewaltlosen Widerstand im Sinne der Bergpredigt, die nur die böse Tat bekämpfe, dem bösen Täter aber Freiheit durch Liebe eröffne, als einzig möglichen Weg zur Rassengemeinschaft. Aber er fügte hinzu: Nur der Glaube an eine universale Gerechtigkeit mache Feindesliebe vernünftig…

Ist die Bergpredigt vernünftig? Für die, die von ihr fasziniert sind: Ja. Für die anderen: Nein! Die Vernunftgründe, die Gandhi, Bonhoeffer, King und die vielen Nachfolger Jesu genannt haben, sind objektiv nicht kommunikabel. Sie sind rein subjektiv. Die Bergpredigt übersteigt die menschliche Vernunft. Ich möchte sie deshalb transvernünftig nennen..."

(Aus: R. Mokrosch, Die Bergpredigt im Alltag, Gütersloh 1991, S.14 f.)
 

Aufgaben

1.  Legen Sie dar, was der Autor unter der subjektiven Vernünftigkeit der Bergpredigt 
versteht !

2.  Inwieweit kann überhaupt  von einer zuverlässigen Überlieferung von Jesus-Worten in der Bibel bzw. der Bergpredigt ausgegangen werden ?
(Gehen Sie dabei von der Entstehung der Evange-lien aus!)

3. Stellen Sie drei weitere Möglichkeiten vor, mit der Bergpredigt umzugehen bzw. ihre Radikalität einzuschränken !

4. Beziehen Sie selbst Stellung zu der Frage, inwieweit die Bergpredigt vernünftig  und Anleitung zu christlich-ethischen Handeln sein kann!
(Textbezug: Begründungen)




 

Ist die Berpredigt vernünftig?
 
Die DISKUSSION - so geht's Schüleräußerungen
Ist die Bergpredigt vernünftig ? - Meinungsäußerungen im Kurs 

"Für mich ist die Bergpredigt vernünftig, aber ihre universale Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit ist nicht für alle Menschen realisierbar. Die Menschen müssten einen kompletten Neuanfang machen " (Sebastian)

"Vor allem in der sich heute immer weiterentwickelnden Ellenbogengesellschaft hat man mit diesem Denken eher geringe Chancen sich zu etablieren." (Till)

"Trotzdem empfinde ich die meisten Elemente der Bergpredigt für sinnvoll und notwendig für menschliches Miteinander, vor allem den Aufruf zum Gewaltverzicht, zur Feindesliebe und die "Goldene Regel". (Katja)

"Die Bergpredigt ist vernünftig, wenn die Menschen ihre eigentliche Aussage, welche sich gegen die Gewalt richtet, sehen." (Davina)

" Ich bin also der Meinung, dass die Bergpredigt ein Prozess ist, der Zeit braucht, jedoch als nicht unerreichbar scheint und jeder Mensch versuchen sollte, das nach seine Möglichkeiten beste zu tun". (Milah)

"Ich halte die Bergpredigt für vernünftig, weil sie die Grundlage zum moralischen und menschlichen Zusammenleben ist. Die Bergpredigt steht für Respekt füreinander, für Nächstenliebe, für Treue und gegen Rache und Gewaltspirale". (Franziska)

"Die Leitbilder der Bergpredigt sind uns gute Vorbilder, die uns zu guten Menschen machen könnten und unser Zusammenleben friedlicher gestalten würden." (Silke)

"Meiner Meinung nach kann die Bergpredigt nur Anleitung zu christlichen Handeln sein, wenn man alle Forderungen Jesu erfüllt, nicht nur ein paar." (Christine)

"Die Bergpredigt beinhaltet viele gute Ideen, die, wenn alle danach handeln würden, sicherlich gut für die Menschen und die Umwelt wären… Allerdings verhält sich das ebenso wie mit dem Kommunismus: an sich eine gute Idee, aber nicht durchführbar." (Frank)

"Es ist unmöglich aus der Erde den "Himmel zu machen. Dennoch würde die Menschheit davon profitieren…Trotz allem übersteigt die Bergpredigt die menschliche Vernunft" (Bill)

"Die Bergpredigt ist Nächstenliebe in Perfektion… Sie ist für jeden Menschen eine Anleitung  zum besseren Miteinander".(Adrian)

"Ich sehe durchaus die Botschaft von Nächstenliebe und Friede, doch kann ich mich wenig mit den genannten Inhalten identifizieren und bezeichne die Inhalte der Bergpredigt als weltfremd, unrealistisch und utopisch". (Oskar)

"Ich bin (wie Alt) der Meinung, das Jesus mit der Bergpredigt keine neue Moral, sondern eine neue Perspektive verkündigt". (Danic)

"Die Bergpredigt widerspricht unserem Alttagsverhalten. Jeder Mensch kann (aber) seine eigene Meinung und seine eigenen Leitsätze entnehmen." (Larissa)

"Ich denke die Bergpredigt ist vernünftig, da sie ein gewaltfreies Miteinander sichert und eine Grundlage für das Gemeinschaftsleben sein kann… Ich finde es höchst moralisch, wenn man gewaltfrei lebt." (Alina)

"Die Bergpredigt fordert zu Vernunft und klaren Denken auf". (Daniel)

"Auch wenn die Bergpredigt an vielen Stellen utopisch ist sollte, man kann sie trotzdem als Grundsatz annehmen, da sie ein besseres Zusammenleben bringen kann." (Tillmann)

"Ich finde die Radikalität, mit der Jesus vorgeht, faszinierend und auch vernünftig". (Nadine)

 


 
 

5. Aufgabe
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