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Wann beginnt das Leben?

Diskussion über "therapeutisches Klonen" sucht nach Antworten

WIESBADEN - Wann beginnt das Leben? Seit sich eine britische Expertenkommission für die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen aussprach, hat diese Frage auch in Deutschland zu neuen Diskussionen geführt. Das britische Parlament billigte inzwischen eine entsprechende Erweiterung der rechtlichen Regelungen zur Embryonenforschung. In Deutschland beantwortet seit 1994 das Embryonenschutzgesetz diese Frage. Wenn sich die beiden Halbkerne zweier Zellen vereinigen - so heißt es darin sinngemäß - ist das Erbgut festgelegt und damit das menschliche Individuum, sein Recht auf Leben und Würde.

„Diese Grenze ist künstlich und verschiebbar und nur eine Frage der Definition,“ gab der Neugeborenenmediziner Professor Volker von Loewenich (Frankfurt) bei einer lebhaften Diskussion über „therapeutisches Klonen“ zu bedenken. Gemeinsam mit dem Krebsspezialisten Dr. Norbert Frickhofen(HSK), den Vertretern der Evangelischen Kirche, Propst Dr. Friedrich Weber und Pfarrer Thomas Hartmann, und dem Chefredakteur des WIESBADENER KURIER, Matthias Friedrich, suchte er nach Antworten.

„Hätten wir beispielsweise in der Neugeborenen-Medizin die Grenze nicht immer weiter nach vorne verschoben, wären viele heute nicht am Leben,“ argumentierte Loewenich. Die Arbeit mit adulten - ausgewachsenen, geschlechtsreifen - Stammzellen, die im Blut zirkulieren, gehöre inzwischen zur Klinik-Routine. Sie dienten der Wiederherstellung der Blutbildung. "Die embryonale Stammzelle ist dagegen ein reines Wunderwerk, von dem wir noch viel lernen könnten," sagte Frickhofen. Doch sei es unredlich, zum heutigen Zeitpunkt Heilungen zu versprechen. Erst seit zweieinhalb Monaten habe das Thema „therapeutisches Klonen“ - das Implantieren eines Zellkerns in eine entkernte Eizelle - auch in der Kirche eine neue, fast diabolische Dimension erreicht, betonte Propst Weber. Die Befürchtung einer Zuhörerin, die Kirche hinke der Zeit hinher und versäume es, klar Stellung zu beziehen, wies Weber zurück. Es gehe nicht darum, Wahrheiten zu behaupten. Die Kirche müsse vielmehr das Gespräch suchen, immer wieder kritische Fragen stellen und die Menschen in ihrem ethischen Konflikt begleiten.

Pfarrer Thomas Hartmann kritisierte die Widersprüchlichkeit des Embryonenschutzgesetzes. Es verbiete die Forschung an deutschen Zellen, aber nicht an importierten, es lasse Abtreibung bis zum 3. Monat zu, aber nicht den Eingriff in die Zelle bis zum 14. Tag. Die englische Parlamentsentscheidung sei nur der Auslöser einer Diskussion, bei der es auch um Macht und Märkte gehe, sagte WK-Chefredakteur Friedrich. „Wer die Gene kontrolliert, kontrolliert das 21. Jahrhundert." Deshalb bestehe dringend Regelungsbedarf, einheitlich für ganz Europa. Er sehe die politische Führung derzeit ziemlich unvorbereitet. Die neue Ministerin wolle jetzt erst einen Ethikrat einsetzen.

Nur ein gutes Kontrollinstrument könne, so Friedrich, verhindern, dass der Mensch Standards setze, wie ein Mensch zu sein habe. Keinesfalls dürfe man die Regeln der Wissenschaft und der Ökonomie überlassen. Einer Kontrollinstanz stimmten auch die Mediziner zu. Doch sollte sie nicht die Forschung, sondern die Anwendung der Forschungsergebnisse überwachen.
 

Wiesbadener Kurier 9.2. 2001


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