Eberhard Schockenhoff

Der Hirntod zeigt den Tod des Menschen an


Wenn der Ausfall der zentralen Steuerungsvorgänge im Gehirn mit genügender methodischer Gewissheit feststeht, wertet die moderne Intensivmedizin dies als den Tod der menschlichen Person. Sie geht von diesem Zeitpunkt ab also davon aus, es nicht mehr mit einem sterbenden Patienten, sondern mit einem Toten zu tun zu haben. Diese Feststellung hält einer ernsthaften philosophischen Kritik durchaus stand.

Der Einwand, sie widerspreche der leib-seelischen Einheit des Menschen, die als anthropologisches Grunddatum während des gesamten Sterbeprozesses zu beachten sei, übersieht nämlich, dass die Einheit des Menschen, mit seinem Leib keine platte Identität, sondern ein dialektisches Spannungsverhältnis darstellt. Die menschliche Person stellt sich in ihrem Leib und durch ihren Leib dar, aber ihre ganzheitliche Identität als Träger dieses Leibes ist nicht identisch mit den physiologischen Prozessen des körperlichen Organismus. Während dieser laufend zerfällt und innerhalb der biologischen Lebenskurve eines menschlichen Individuums mehrfach erneuert wird, hält sich die personale Identität des Menschen über den Wechsel seiner körperlichen Austauschprozesse hinweg durch. Dieses Verhältnis der Person zu ihrem Leib umschließt die gesamte irdische Existenz des Menschen; es gilt also auch für den Abschluss seiner Lebensgeschichte. 

Das ganzheitliche Ereignis des Todes wird durch den wahrnehmbaren Prozess des Sterbens zugleich verhüllt und enthüllt; als Ende der irdischen Existenz der menschlichen Person ist der Tod nicht einfach identisch mit dem beobachtbaren Vorgang des Sterbens, in dem die Vitalfunktionen der einzelnen Organe nach und nach erlöschen.

Der Tod des Menschen ereignet sich in diesem gesamten Prozess der körperlichen Desintegration und Devitalisation, ohne dass sein Zeitpunkt im nachhinein exakt feststellbar wäre. Bei der verbindlichen Festlegung des Todeszeitpunktes, von dem ab die ärztliche Behandlungspflicht aufhört und die Organentnahme gestattet wird, ergeben sich in dieser Lage nur zwei Alternativen. Entweder sieht man den Eintritt des Todes erst mit dem Erlöschen der letzten biologischen Körperprozesse im Organismus als gegeben an oder man bewertet den irreversiblen Ausfall der integrativen Leitungsfunktionen des Gehirns als hinreichend sicheren terminus ad quem, der den Rückschluss auf den Tod der menschlichen Person erlaubt. 

Die medizinische Hirntoddefinition, die derzeit in fast allen Ländern eingeführt und von bedeutenden wissenschaftlichen Institutionen einschließlich der päpstlichen Akademie der Wissenschaften anerkannt ist, wählt diesen zweiten Weg und deutet den endgültigen Gehirntod als einen sicheren Hinweis darauf, dass der Tod des Menschen bereits eingetreten ist.
 

Auszug aus: Schockenhoff, Ethik des Lebens,Mainz 1993, 253-256)

 
 
 

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