Psychosoziale Probleme Organtransplantierter
von Dr. Emil Günther
Naumann, Köln
Der Titel mag überraschen
insofern, als daß die psychosozialen Probleme chronisch Kranker zwar
bekannt, aber doch eher in die Phase vor der Transplantation angesiedelt
werden. Und doch werde ich aufzuzeigen versuchen, daß dies nicht
zutrifft.
Durch die zwar zunehmende.
aber längst nicht ausreichenden Möglichkeiten der Organtransplantation
im Bereich Niere, Herz, Lunge, Leber u.a. Organe ist es immerhin gelungen,
im Rahmen der Transplantationsmedizin sowie vorbereitender und nachsorgender
Rehabilitationsmaßnahmen vielen Menschen das Leben zu erhalten.
Patienten selbst sprechen
in diesem Zusammenhang davon, daß ihnen das Leben neu geschenkt wurde.
Wer mit chronisch kranken Menschen arbeitet oder gearbeitet hat, wer mit
ihnen lebt oder gelebt hat, wer ihre oft dramatischen Lebensphasen vor
der Transplantation miterlebt hat, der weiß, daß diese Beschreibung
dieses "Gefühls des neuen Lebens" zutrifft. Der weiß aber auch,
mit welchen Sorgen, Ängsten bis hin zu chronischen sehr aktiv depresiven
Verstimmungen und psychosomatischen Beschwerden, Schuldgefühlen, Unsicherheiten
und Konflikten dieses neue Leben konfrontiert ist; und daß der Organempfänger
mit eben diesem und anderem Leben umzugehen lernen muß. Natürlich
gilt dies auch mit Einschränkungen für die Familien, den Angehörigen,
mit denen ein Patient lebt.
Der Status des chronisch
Kranken oder des akut lebensbedrohlichen Erkrankens wird zwar durch die
Transplantation medizinisch-naturwissenschaftlich betrachtet zum Stillstand
gebracht, doch die psychische Seite lebt weiter in einem Kontinuum. Für
das Seelische, hier das Unbewußte, besteht kaum ein Unterschied zwischen
Raum und Zeit, für dieses existieren Angst und Unsicherheit aus dem
Vorherigen, als dem Zustand des chronisch Krankseins und dem Zustand vor
der Transplantation in das Jetzige, dem Zustand der Transplantation des
Organempfängers eben weiter wie zuvor.
Nimmt man die immer noch
heftige, bisweilen emotional geführte Diskussion und Rechtsunsicherheit
der Organspendevoraussetzung hinzu, so wirft dies einen zusätzlichen
Schatten auf den potentiellen Organempfänger und bedeutet Streß.
Streß deshalb, weil gerade der Patient es ist, der wartet, der hofft
und als Betroffener mit in diesen Strudel von Unsicherheit und Verwirrung
hineingezogen wird. Wenn als von psychosozialen Belastungsfaktoren und
Problemen der Organempfänger - denn dies ist der Patient, um das m.E.
technokratisch Anmutende "Transplantierter" zu mildern - die Rede sein
soll, läßt sich dies im mehreren Phasen der Erlebnisverarbeitung
beschreiben; denn es handelt sich wie auch bei der Phase des chronischen
Krankseins um einen prozeßhaften Verlauf, den der Betroffene durchlebt
und in dem er die verschiedensten emotionalen Stadien durchläft.
Am Anfang des Zustandes nach
erfolgter Transplantation steht die Phase des Erstaunens und der Freude,
es geschafft zu haben, zu leben. Sie ist im wesentlichen geprägt
durch die Hoffnung auf eine positive Zukunft.
In der zweiten Phase, die
ich die Phase der aktiven Auseinandersetzung nennen möchte,
muß dann hier auch die Rede davon sein, daß bei Patienten Angst
vor dem Versagen, also die Gefahr der Abstoßung des neuen Organs
entsteht. Daß Schuldgefühle dem Spender und dessen Familien
gegenüber entstehen, daß Schul- und Ausbildungsprobleme entstehen,
daß innerfamiliäre Konflikte, beispielsweise was die Erwartungshaltung
und Belastungsfähigkeit des jetzt transplantierten Patienten betrifft,
entstehen, es muß davon gesprochen werden, daß Probleme, besonders
bei jüngeren Patienten, entstehen, daß aber auch latente Todesfurcht
in Form von Depression und Angst auftreten, daß natürlich auch
Ängste im Zusammenhang auftreten mit dem bangen Warten auf das Ergebnis
wiederholt notwendig durchgeführten Biopsien. Ja es muß auch
gesprochen werden von Streß durch die Pflicht, dauerhaft cortisonhaltige
Präparate bzw. Zyclupärien einnehmen zu müssen. Dies im
besonderen im Kindes- und Jugendalter. Es muß gesprochen werden von
Abhängigkeiten des Patienten von seine Angehörigen, Schwestern,
Ärzten und dem Betreuungspersonal.
In der dritten Phase,
die Phase der Gewöhnung und Adaption, steht nach dem Prozeß
der gesunden Bearbeitung der vorherigen Entwicklung die gelungene Integration
des "fremden Organs", denn um ein solches handelt es sich ja, im Vordergrund.
Gemeint ist hier nicht die körperliche Integration, sondern das seelische
bzw. das bewußte Annehmen und Akzeptieren dieses neuen Organs. Der
Patient vergißt nicht, hat aber gelernt, mit seinem neuen Organ zu
leben. Natürlich handelt es sich bei der Beschreibung der eben erwähnten
Phasen nicht um exakt aufeinander folgende, sondern sie sind fließend
und ineinander übergehend. Nun mag mancher von Ihnen denken, daß
hier das Bild des Organempfängers und seiner Probleme doch zu negativ
und zu düster gezeichnet worden ist. Weiß er doch, und dies
ist im übrigen unbestritten, daß in den letzten Jahren, insbesondere
in der Kinder- und Jugendmedizin, große Fortschritte durch die psychosoziale
Unterstützung, insbesondere im onkologischen, nephrologischen und
im Bereich der Mukoviszidose-Patienten, erzielt worden sind und viele Patienten
wieder ein Leben und vor allen Dingen ein beschwerdefreies Leben führen
können. Nun, dieser Ansicht ist nicht viel entgegenzuhalten, bis auf
die Tatsache, daß es bis zu diesem positiven Lebensgefühl ein
oft langer Weg war, auf dem die Patienten und auch ihre Angehörigen,
und auch das ist meiner Meinung nach entscheidend, professionelle Hilfe
benötigen.
Denn die Realität sieht
häufig so aus. Im Präterminalzustand sind durch viele unterstützende
Maßnahmen dem Patienten Hilfen zugeflossen. Wurde ein großes
Verständnis signalisiert, galt er als krank. Sobald aber nun - und
dies können betroffene Patienten viel besser referieren als ich -
die Transplantation erfolgt ist, gilt der Patient in den Augen der meisten
als geheilt oder gar vollständig gesundet. Und gerade hier setzt die
Schwierigkeit ein, die sich in der Überschrift des Beitrages ja wiederspiegelt.
Der Patient, der überhaupt
erst einmal die schwere krisenhafte und existenzielle Lebensbedrohung körperlich,
organisch überwunden hat, sieht sich nicht nur seinen eigenen, bisher
verdrängten oder subliminierten Ängsten ausgesetzt, sondern auch
dem kollektiven Erwartungsdruck seiner Umgebung. Der transplantierte Patient
hat sich in einer menschlich existienziellen Ausnahmesituation, also der
Transplantation und ihrer Vorbereitung und Nachsorge, befunden, die die
Natur zwar nicht so vorgesehen, aber Gott sei Dank durch den technisch-medizinischen
Fortschritt ermöglicht hat. Dies bedeutet aber auch, daß neben
den rein medizinisch-technischen Vorgängen der Patient mit seinen
Ängsten und Sorgen nicht alleine gelassen werden darf.
Aus vielen Berichten und
Untersuchungen über Menschen, die sich in einer ähnlichen menschlich
existentiell bedrohlichen Situation befunden haben, wissen wir, daß
gerade dann die körperliche und psychisch spürbare Streßsituation
oder die lebensbedrohliche Phase zu Ende ist; die Auseinandersetzung des
Seelischen hier erst beginnt. Der nun Transplantierte gilt für die
meisten in der Bevölkerung als gesund, geheilt und völlig rehabilitiert.
Und dies wird im Gegenzug auch von ihm erwartet. Kaum richtet sich das
Augenmerk darauf, daß der Patient jetzt gerade besonderer Hilfen
- und zwar die einer psychosozialen Versorgung - bedarf, die ihm die Reintegration
erleichtern helfen sollen, die ihm und seinen nächsten Bezugspersonen
helfen sollen, über Gespräche, Beratungen oder auch therapeutischen
Angeboten diese "neue Leben" wieder lebenswert zu machen.
Transplantation hat nur einen
Sinn und entbehrt diesen eben, wenn nicht neben der Organverpflanzung auch
eine gezielte psychosoziale Nachsorge gewährleistet ist, dieses "neue
Leben" qualitativ zu verbessern. Zu fordern sind Verbesserung psychosozialer
Nachsorgen, die Verpflichtung von Einrichtungen, die Transplantationen
vornehmen, dafür zu sorgen, daß mehr psychosoziale Mitarbeiter
zum Standardteam des Personals gehören müssen. Es sollten Stellen
geschaffen werden, die gerade den komplizierten seelischen Verarbeitungsprozessen
nach Transplantation durch fachpsychologische und soziale Hilfen Rechnung
tragen. Denn Transplantation heißt, eine Chance zu haben zur Rehabilitation.
Und diese darf bei den rein körperlich bezogenen Störungen nicht
stehenbleiben. Auf der Ausbildungsseite müssen kompetente Mitarbeiter,
von den Fachhochschulen und den Universitäten kommend, spezifisch
ausgebildet werden. So muß natürlich der klinische Psychologe
genügend medizinische Kenntnisse haben um den Patienten auch in seinen
körperlichen Belangen besser verstehen zu können. So muß
auf der anderen Seite der behandelnde Arzt genügend Kenntnisse im
Bereich der Seelenkunde haben, um zu wissen, daß körperliche
Störungen durchaus mit seelischen Ursachen assoziiert sind. Beide
Berufsgruppen müssen lernen, genau hinzuhören. Nur durch ein
kooperatives und nicht durch Konkurrenz und einer Werteskala geprägtes
Arbeitsmodell ist den Organempfängern und seiner Angehörigen
gerecht zu werden. Denn nur so kommen wir weg von den von Thure von Uexkyl
zu Recht negativ formulierten Begriff des Maschinenbildes vom Menschen
und kommen hin zu einem ganzheitlichen Denken, das insbesondere im Rahmen
der Transplantationsmedizin beachtet werden muß
Dieses Manuskript geht
auf den von Dr. Naumann am
5. Februar 1995 gehaltenen
Vortrag in der Ev. Akademie Mülheim/Ruhr zurück.