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Gerfried W. Hunold

Organspende im Verantwortungsspektrum von Medizin und Ethik

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Wie ist nun die Organspende selbst ethisch zu bewerten? Unter Berücksichtigung der angesprochenen anthropologischen und medizinischen Rahmenbedingungen ist die Frage nach der sittlichen Erlaubtheit der Organtransplantation von einem toten Spender auf einen lebenden, schwerkranken Empfänger eine Frage, die zugleich das therapeutische Zielinteresse der Medizin berührt. Sie ist nach den aufgewiesenen ethischen Gesichtspunkten eindeutig zu bejahen. Das Prinzip der Güterabwägung zwischen Lebensverbindlichkeiten im Handeln wird hierbei leitend. Das Gut der Rettung eines todkranken Menschen und seiner möglichen gesundheitlichen Rehabilitation durch Transplantationsmaßnahmen ist als ein wesentlich höheres Gut anzusetzen als die bloße Pietätrücksicht gegenüber einem Leichnam. Dabei ist der Leichnam eines Menschen nicht einfachhin eine tote Sache, wohl aber ein Körper, der nach biologischen Gesetzen dem Zerfall preisgegeben ist.

Die ethische Dimension der Organspende ist darin zu erblicken, dass ein Mensch bewusst und frei für den Fall seines Todes und der Eignung seiner Organe diese einem anderen Menschen therapeutisch helfend zur Verfügung stellt. Mit einer solchen Entscheidung wird ein Akt verantwortungsbewusster menschlicher Lebenssolidarität gesetzt. Das Moment der Freiwilligkeit macht dabei deutlich, dass die Spende ein Handeln von höchstpersönlicher Qualität bedeutet.

Gleichzeitig sei in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht: Ethisch betrachtet gibt es unter dem Prinzip solidarischer Freiwilligkeit des Helfens weder ein Recht auf ein lebensrettendes Spenderorgan noch eine daraus abzuleitende Pflicht zur Organspende. Die Diagnose eines irreversiblen Hirnversagens kennzeichnet den Punkt eines unumkehrbaren Lebensprozesses. Diesen Tatbestand sollte man den Menschen jedoch ethisch als möglichen Entscheidungsprozeß so vermitteln, dass sie sich in freier Würde zur Unumkehrbarkeit des Sterbens und zur Solidarität mit dem Leben bekennen können, wie sie letztendlich in der Bereitschaft zu Organspende liegen kann. Diese Form eines lebensfördernden Solidarethos sollten im Anspruch des Humanen die christlichen Kirchen zu vermitteln versuchen.

Nicht zuletzt im Blick auf den noch ausstehenden gesellschaftlichen Konsens in der Sachdiskussion geht es um eine Entkonfessionalisierung vorhandener Positionen und Wertgesichtspunkte, vorrangig jedoch um eine Entemotionalisierung des gegenwärtigen Diskurses, um eine angemessene, der Würdeoption des Menschen entsprechende gesetzliche Regelung zu finden. Dieser Imperativ impliziert aber auch gleichzeitig den Respekt vor anderslautenden Positionen. Der zu findende Kompromiss ist kein Verfallssymptom des Ethischen, sondern der Weg des sinnvoll Möglichen unter den Bedingungen unterschiedlicher sachlicher Einsichten: Auch diese Tatsache sollten wir uns anmahnen lassen, wenn eine gesetzliche Regelung zu finden ist, die den unterschiedlichen Wertgesichtspunkten gegenüber der Transplantationsmedizin innerhalb unserer Gesellschaft Rechnung tragen will.


Prof. Dr. Gerfried W. Hunold ist Lehrstuhlinhaber für Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Startseite (Übersicht Organspende)