Erklärung der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaften zum Tod durch völligen endgültigen Hirnausfall
(Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin,
Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie, Deutsche Gesellschaft für Neurologie,
Deutsche Physiologische Gesellschaft)
 
 
 
HIRNTOD
 

1.
ES GIBT NUR EINEN TOD, aber verschiedene Ursachen, Eintrittsweisen, Zeichen und Nachweisverfahren dieses einen Todes.
Seine Begriff'sbestimmung kann nicht anders als vorn Leben her geschehen, als das Ende des Lebens.

Seine Feststellung erfolgt als Nachweis eines bereits unabänderlich bestehenden Zustands. Daher hängt sie weder von der Uhrzeit des Todeseintritts noch von irgend etwas anderem ab, auch nicht von einer Organspende nach dem Tod.
Todeszeichen sind naturgegeben und daher unveränderlich. Sie unterscheiden sich wie die Lebenszeichen nach der betroffenen Lebenseinheit: Zelle, Gewebe, Organ, Organismus oder Lebewesen. Ein Lebewesen, dessen letzte Zelle abgestorben ist, ist zweifellos tot.

Aber ebenso gewiss ist ein Lebewesen schon dann tot, wenn es für immer die Lebensmerkmale verloren hat, die es als Lebe-Wesen kennzeichnen.

2.
ALLE LEBENSMERKMALE, die ein höheres Lebewesen kennzeichnen, entstehen durch die Tätigkeit seines Gehirns. Es bewirkt bei den entsprechend entwickelten Lebewesen, also nicht allein beim Menschen
- das gesamte angeborene und erlernte, von inneren Antrieben ausgelöste und von außen veranlasste Verhalten mit zielgerichteten Handlungen,
- die Fähigkeit zur Anpassung des Verhaltens an wechselnde Umweltbedingungen,
- die Steuerung und die Abstimmung der Tätigkeiten einzelner Körperteile und ihrer Wechselbeziehungen.

Beim Menschen ist das Gehirn zudem die notwendige und unersetzliche körperliche Grundlage für das stofflich nicht fassbare Geistige. Wie auch immer der menschliche Geist, die menschliche Seele und die menschliche Person verstanden werden: Ein Mensch, dessen Gehirn abgestorben ist, kann nichts mehr aus seinem Inneren und aus seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden. Mit dem völligen und endgültigen Ausfall der Tätigkeit seines Gehirns hat der betroffene Mensch aufgehört, ein Lebewesen in körperlich-geistiger oder in leiblich-seelischer Einheit zu sein. Deshalb ist ein Mensch tot, dessen Gehirn völlig und endgültig ausgefallen ist.

3.
DAS GEHIRN fällt dann vollständig und endgültig aus, wenn es abstirbt; es stirbt ab,
- wenn die Sauerstoffuersorgung des Hirngewebes mehrere Minuten unterbrochen wird, z.B. durch einen Herzstillstand,
- der Druck im Hirnschädel den arteriellen Blutdruck übersteigt und dadurch die Hirndurchblutung aufhört.

Auch wenn das Gehirn abgestorbenist, lässt sich die im Herzen selbst entstehende Herztätigkeit durch intensiv-medizinische Maßnahmen und durch Beatmung aufrechterhalten. Dem Unbefangenen erscheint ein Mensch mit abgestorbenem Gehirn wie ein gleich intensiv behandelter bewußtloser Mensch, also nicht wie eine Leiche.
Dies dürfte der entscheidende Grund dafür sein, dass die ärztliche Todesfeststellung durch Nachweis des völligen und endgültigen Hirnausfalls auf Unverständnis und Bedenken stößt.
Das völlige Fehlen der gesamten Hirntätigkeit ergibt sich aus dem Befund, das Fehlen der Erholungsfähigkeit aus
- der Kenntnis der Grundkrankheit oder -schädigung und ihres verlaufs,
- dem Ausschluss anderer Ursachen des Zustands, etwa von rückbildungsfähigen Medikamentenwirkungen,
entweder der Weiterbeobachtung allein oder zusätzlichen Untersuchungen mit Geräten, die eine so schwere Hirnschädigung beweisen, dass eine Erholung unmöglich ist.
Alle Geräte-Untersuchungen wie zum Beispiel die Ableitung der Hirnstromkurve können nur in der Zusammenschau mit
der Vorgeschichte und den übrigen Befunden sowie unter genau festgelegten technischen Voraussetzungen etwas aussagen. Am meisten überzeugt der nachgewiesene Ausfall der Hirndurchblutung, weil er den Grund des Hirnausfalls zeigt. Gleichwohl sind die anderen Nachweisverfahren ebenso sicher.

Vort außern ausgelöste (reflektorische) Bewegungen von Arnten oder Beinen sowie Anderungen von Puls und Blutdruck infolge von äußeren Einwirkungen können auch über das Rückenmark entstehen. Diese Rückenmarkstätigkeit ist durch Beobachtungen an querschnittsgelähmten Menschen mit völliger Unterbrechung der Verbindungen zum Gehirn und durch frühere Tierversuche seit Langem bekannt. Verständlicherweise können entsprechende Erscheinungen nach dem völligen und endgültigen Hirnausfall verwirren; sie lassen sich aber als Rückenmarkstätigkeit beweisen.
Der Tod wird unabhängig davon festgestellt, ob eine anschließende Organentnahme möglich ist.
Ohne sie wird die Behandlung abgebrochen, weil die Behandlung eines Toten nicht sinnvoll ist und nur unerfüllbare Hoffnungen stützt. Nach dem Absetzen der Behandlung bleibt das Herz stehen, wenn der Sauerstoff im Körper verbraucht ist.
Die Vorschriften für die Feststellung des völligen und endgültigen Hirnausfalls setzen die Naturgegebenheiten in medizinische Regeln um. Ihre Beachtung durch die untersuchenden Ärzte ist nachprüfbar: In Deutschland muss der völlige und endgültige Hirnausfall durch zwei Ärzte nachgewiesen werden, die ihre Feststellungen und deren Voraussetzungen schriftlich festhalten müssen. Der Entwurf eines Transplantationsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland enthält die ärztlich ohnehin selbstverständliche Berechtigung von Angehörigen, in die ärztlichen Unterlagen der Todesfeststellung Einsicht zu nehmen. Von den beiden Ärzten, die den völligen und endgültigen Hirnausfall feststellen, muss wenigstens einer eine mehrjährige intensiv-medizinische Erfahrung haben; keiner von ihnen darf an einer vielleicht möglichen Organübertragung mitwirken.
Eine den Regeln gemäße und trotzdem unzutreffende Feststellung des völligen und endgültigen Hirnausfalls ist nicht bekannt geworden. Nach aller Erfahrung wäre sie bekannt geworden.

4.
DER VOLLSTÄNDIGE UND ENDGÜLTIGE Hirnausfall wird als Todeszeichen des Menschen zurzehmend weltweit erkannt und ist in vielen Ländern auch gesetzlich geregelt - unabhängig von gesellschaftlichen, politischen und religiösen Gegebenheiten. Dies zeigt, dass nicht unterschiedliche Auffassungen die Frage nach der Bedeutung des völligen und endgültigen Hirnausfalls beantworten, sondern die körperlichen Gegebenheiten, das allen Menschen Gemeinsame.

5.
AUCH DAS NACHDENKEN über den Tod bestätigt, dass die Medizin ihren Fortschritt den Naturwissenschaften, ihre Menschlichkeit den Geisteswissenschaften verdankt. Nur zusammen können sie dem Menschen dienen und helfen.


SEPTEMBER 1994
Für die
Deutsche Gesellschaft fürAnästhesiologie und Intensiumedizin e.V.
Prof. Dr. R, Dudziak Präsident

Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie e.v.
Prof. Dr. H.-D. Herrmann Präsident

Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V -
Prof. Dr. F. Jerusalem
Präsident

Physiologische Gesellschaft e.V.
Prof. Dr. W Kuschinsky Ständiger
Sekretär

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